Julyra Milanos Unterkunft

Vorbereitungsräume von D3

Kritisch besah ich mir noch einmal die vier Outfits und reparierte, zupfte und nähte hier und da an ihnen bis ich schlussendlich mit dem Ergebnis zufrieden war und sich ein kleines Schmunzeln auf meinem Gesicht bemerkbar machte. Da es noch ein wenig dauerte, bis die Tribute ankamen, setzte ich mich an den Fernseher und betrachtete das gestrige Video der Ernte noch einmal, um mir ein besseres Bild von den Jugendlichen, die mir zugeteilt worden waren, zu machen. Das blonde Mädchen würde sicher toll in ihrem Kostüm aussehen, das ahnte ich jetzt schon. Aber auch die beiden Jungs schienen wie perfekt für meine Kostüme zu sein. Ich konnte nur hoffen, dass ich ihnen mit meiner Arbeit helfen konnte bessere Chancen in der Arena zu bekommen. - Schließlich war das mein Ziel bei dieser Arbeit hier.

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Ich klopfte nicht. Das war einfach nicht meine Art. Ohne irgendeine Vorwarnung kam ich in Julyras Unterkunft spaziert. Sie saß gerade vor dem Fernseher, anscheinend um ihre Schützlinge nochmal in Augenschein zu nehmen. Ihre Kostüme hatte sie, wie ich vermutete bereits fertig, sie war nicht die Person, die alle Arbeit bis auf die letzte Möglichkeit aufschob. Im Gegensatz zu mir, ich hatte immer noch ein paar Handgriffe zu tätigen, ehe meine Kostüme vollendet sein würden, doch das würde kein großes Problem mehr darstellen.
"Na, wie geht's dir meine Liebe?", begrüßte ich sie und warf einen Blick auf den laufenden Fernseher. Dieses Jahr war es die doppelte Tributanzahl, das hieß für uns Stylisten gleich vier Outfits herzurichten und für die Tribute sich gegen die doppelte Anzahl ihrer Gegner durchzusetzen. Für die Wirtschaft hieß es den doppelten Verlust an jungen Arbeitskräften... das Jubel-Jubiläum hatte selbst für das Kapitol nur Nachteile. Aus irgendeinem Grund schienen sie das jedoch nicht zu verstehen...
"Was hältst du dieses Jahr von den 'Auserwählten'?", die Art der Betonung ließ deutlich werden, was ich persönlich von diesem Begriff hielt, auch wenn Julyra das natürlich schon wusste. Mit gerunzelter Stirn fixierte ich wieder den Bildschirm, auf welchem gerade die Losungen wiederholt wurden.

Ich schreckte ein kleines bisschen hoch, als plötzlich Mauricio hereinkam ohne jegliche Vorwarnung. Man müsste meinen, ich sei das eigentlich schon von ihm gewohnt, aber offenbar war das doch noch nicht ganz der Fall.
"Hey", begrüßte ich ihn lächelnd. "Mir geht's eigentlich ganz gut ... hab leider letzte Nacht nicht viel geschlafen wegen den Kostümen ..." Ich konnte ein Gähnen nicht unterdrücken und hielt meine Hand vor den Mund.
"Aber sonst bin ich schon ein bisschen aufgeregt. Ich hoffe, ich kann ihnen mit den Outfits irgendwie behilflich sein ...", murmelte ich und blickte missmutig auf die Kostüme. Letztes Jahr hatten die mir zugeteilten Tribute trotz ihrer hohen Punktezahl dann leider doch nicht durchgehalten. Ich hoffte inständig, dass das dieses Jahr anders war.
"Was hältst du dieses Jahr von den 'Auserwählten'?", fragte mich Mauricio dann und ich antwortete, indem ich mit der Fernbedienung das Video etwas zurückspulte bis ein Bild auftauchte, dass alle Kandidaten aus Distrikt 4 zeigte.
"Das sind sie", meinte ich und musterte die beiden Jungs und die zwei Mädchen. "Siehst du das blonde Mädchen? Ich glaube, Sky heißt sie. Ich denke sie wird toll aussehen. Und dieser Chino ist sicher perfekt für das kürzere "Poseidon"-Outfit, meinst du nicht?"
Schließlich schaltete ich den Fernseher ab und fragte ihn nach seinen Kostümen.
"Hast du sie schon fertig gestellt? Du hast Distrikt 7 oder?"

Ich musste lächeln, als sie über Schlaflosigkeit klagte, das war seit jeher einer der Nachteile als Stylist. Ansonsten gab es jedoch fast nur Vorteile, also kam ich mit diesem Manko auch recht gut aus.
"Ich weiß nicht, ich denke mir jedes Jahr, dass wenn die eigenen Tribute glänzen, die anderen dagegen untergehen. Das heißt ich bin mir nicht so sicher, in wieweit ich ihnen helfen kann. Umso mehr ich ihnen helfe, umso mehr stürze ich andere ins Verderben. Traurig, aber wahr.", philosophierte ich.
"Also bin ich einfach zu dem Entschluss gekommen das Beste daraus zu machen, um wenigstens meinen Ruf als Designer nicht zu verlieren. Folglich tue ich das ganze mehr für mich als für die Tribute", stellte ich nüchtern fest, "aber du warst ja schon immer die nettere von uns beiden..."
Neugierig beobachtete ich das blond-haarige Mädchen, sie hatte wirklich ein ganz hübsches Gesicht... mit ihr konnte man etwas anfangen, so viel stand fest.
"Sieht wirklich süß aus das Mädchen", pflichtete ich Julyra bei, "mit deiner Kreation wird sie glänzen! Meine Kostüme sind schon so gut wie fertig, nur noch ein paar Handgriffe...", antwortete ich ihr, "hast du dir schon Skizzen für die Interview-Kleider gemacht?"
Ich hatte mir schon viele Gedanken dazu gemacht, aber mir schwirrten so viele Ideen im Kopf herum, dass ich keine Ahnung hatte, was ich wirklich wollte...

Ich hörte Mauricio zu und musste mir eingestehen, dass er eigentlich ja Recht hatte. Half man den Tributen, die einem zugeteilt worden waren, so kamen dafür die anderen um. Und ließ man die Eigenen chancenlos, half man dafür vielleicht anderen, aber die eigenen Tribute und auch noch die restlichen anderen saßen in der Klemme. - Ein Teufelskreis war das.
Wenn man es so betrachtete, war seine Einstellung wirklich die beste, nämlich nur zu schauen, dass man seinen Ruf als Designer etablieren konnte. Und trotzdem konnte ich nicht so denken, denn ohne es zu wollen, waren die mir zugeteilten Tribute für mich wie Schützlinge, denen ich einfach helfen musste.
"Na ja, nicht die Nettere ... nur kann ich nicht tatenlos dabei zu sehen, wie meine Schützlinge in den Tod gehen mit dem Wissen, dass ich für sie eigentlich viel mehr hätte tun können ...", gestand ich ihm. "Aber deine Einstellung dazu ist wahrscheinlich trotzdem die bessere."
Da fragte er mich nach den Interviews und ich überlegte kurz.
"Ja, hab ich. Aber wahrscheinlich werde ich die erst wieder kurz vor den Interviews umändern, weil ich zu spät draufkomme, dass mir das eigentlich gar nicht so gefällt, wie ich es gezeichnet hab." Ich grinste und sah zu ihm. "Und du?"

"Also doch die Nettere", widersprach ich auf ihre komplizierte Beschreibung ihres Beschützerinstinktes.
"Ich weiß nicht, ich habe so einige Ideen, aber ich habe keine Ahnung, welche die Richtige ist. Die Leute erwarten in letzter Zeit immer größere Effekte. Blinkende Lichter und all diese Sachen", fügte ich erklärend hinzu, "denn nur auf diese Weise schafft man es noch Aufmerksamkeit zu wecken in einer Welt wie dieser...., aber ich bin einfach kein Fan von Glitzer und Co."
Frustriert zog ich beide Augenbrauen nach oben: "Das ist mein Problem, aber ich werde hoffentlich irgendeine Kompromisslösung finden. Vielleicht nehme ich irgendeinen bunten Stoff mit einfachen Schnitten,... und dann muss ich mir natürlich noch ein passendes Make-Up überlegen", grinste ich, "ach ist mein Leben nicht schwer?"
Mein schiefes Lächeln sprach Bände. "Was machst du eigentlich nach den Spielen, arbeitest du gerade an einer neuen Kreation?"
Julyra war hier im Kapitol nach wie vor eine der heiß-begehrtesten Stylistinnen, und dass bereits in ihren jungen Jahren. Dieser Umstand allein zeigte, dass sie sich wirklich auf ihrem Gebiet verstand. Ich beneidete sie oft um ihres persönlichen Stiles wegen, auch wenn ich das natürlich nie zugeben würde... Designer besaßen in den meisten Fällen ein wirklich großes Ego -das hieß auch so groß, dass sie sich stets für den Besten hielten, oder falls es anders wäre, es niemals zugeben würden. Julyra war in beiden Fällen eine seltene Ausnahme. Ihre entzückend ehrliche Bescheidenheit begeisterte die Menschen immer wieder aufs Neue.

Ich verzog das Gesicht, als er von Glitzer und blinkenden Lichtern sprach.
"Auf die kann ich auch gerne verzichten. Besonders, wenn man sie so maßlos verwendet wie manche es hier tun", meinte ich und musste an gewisse Outfits von anderen mir bekannten und nicht so gemochten Designern denken.
Als er mich fragte, ob sein Leben schwer sei, erwiderte ich sein Grinsen und warf ein Sofakissen auf seinen Kopf.
"Ja, total. - Ups, ich hoffe, ich hab deine Frisur jetzt nicht zerstört", sagte ich schelmisch. Mit Mauricio herumzublödeln heiterte mich immer wieder auf. Er hatte einfach so einen ansteckenden Humor, dem man einfach nicht entgehen konnte.
"Was machst du eigentlich nach den Spielen, arbeitest du gerade an einer neuen Kreation?", fragte er mich dann und ich erwiderte gespielt entsetzt und bemüht nicht loszulachen: "Stalkst du mich?! Woher weißt du das schon wieder, das hab ich noch keinem erzählt."

"Hey", entfuhr es mir, als sie das Kissen nach mir warf. "Weißt du wie lange ich für diese Frisur gebraucht habe? Tage,... okay, das ist übertrieben aber Stunden..." das war immer noch stark übertrieben, aber vielleicht bekam sie ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihr nur überzeugend genug vorspielte meine Haare wären perfekt geordnet gewesen. Ich fischte das Kissen vom Boden und ließ mich mit ihm zusammen auf das Sofa fallen.
"Ehrlich gesagt, nein ich stalke dich nicht. Ich muss dir leider gestehen, dass du nicht so unvorhersehbar bist, wie du es gerne wärst", erwiderte ich mit einem schiefen Lächeln.
"So eine neue Kreation also,... ich bin schon gespannt, was du dir dieses Mal ausgedacht hast! Davor werde ich dir allerdings von meinen Plänen erzählen, da du selbst nicht den Anstand besessen hast mich danach zu fragen", bemerkte ich übertrieben schockiert, "meine Frage war, falls es dich interessiert nur darauf ausgelegt, dass du darauf die-zu-erwartete-Gegenfrage stellst. Da du das nicht hast, tue ich einfach so, also würde es dich trotzdem interessieren, was ich danach so plane... Okay, das ganze davor Gerede klang jetzt wahnsinnig kompliziert, nun zum wichtigen Teil: Ich habe vor mal wieder einen Film zu drehen."
Ich legte eine kurze Kunstpause ein: "Na was sagst du?"

Ich kicherte, als er meinte, er hätte Stunden für seine Frisur gebraucht und sagte leise "Schade", als er mir mitteilte, dass ich nicht so unvorhersehbar war, wie ich es gerne wäre. Er ließ sich neben mir aufs Sofa fallen und ich folgte stirnrunzelnd seinem verwirrten Gerede bis er endlich zum Punkt kam. - Er hatte vor, mal wieder einen Film zu drehen.
Ich lächelte. Mauricio war hier im Kapitol nicht nur als Designer bzw. Stylist bekannt, nein, auch seine filmischen Qualitäten waren nicht von schlechten Eltern. Ich bewunderte ihn dafür, dass er nebenbei auch noch in der Filmbranche tätig war. Für mich war das kaum vorstellbar, schließlich hatte ich auch so schon genug zu tun. Doch ich musste zugeben, dass ich mich auch nie so richtig mit dem Filme-machen abgegeben hatte. Wenn man in Distrikt 1 aufwuchs, kannte man sich meistens bloß mit jeglichen Edelsteinen der Welt aus, aber von Filmen bekommt man eher weniger mit. - War ja schon selten, dass ich einen guten Ruf als Designerin im Kapitol etablieren hatte können, wo ich doch aus einem Distrikt stammte.
"Das ist toll!", antwortete ich ihm mit einem Lächeln. "Weißt du denn schon in welchem Genre? - Wenn du Kostüme brauchst, weil dir deine Designer-Qualitäten durch irgendeinen Schock plötzlich abhanden gekommen sind: Ich steh dir immer gern als Ersatz-Stylist zur Seite", sagte ich scherzend.

Ich lächelte ihr zu: "Ja, ich habe auf deine Hilfe vertraut, Stylisten werde ich beim Film ohnehin mehrere brauchen und ich werde als Regisseur sicher genug zu tun haben! Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich ohne Hintergedanken darauf angesprochen habe?"
Ich musterte sie verschmitzt: "Bei den ganzen Genre-Sachen und bei der Grundgeschichte bin ich mir noch nicht allzu sicher. Aber ich glaube ich mache etwas Fantasy-mäßiges, denn das ist so ziemlich das einzige Genre, bei welchen man unser System unterbewusst beleidigen kann, ohne dass man gleich dafür umgebracht wird."
Ich sagte dies zwar grinsend, doch der wahre Kern war dabei kaum von der Hand zu weisen. Ich hatte es langsam satt Jahr für Jahr Kinder in der Arena sterben zu sehen, ohne auch nur irgendetwas unternehmen zu können. Denn so weit zu gehen mein Leben zu riskieren würde ich dann doch nicht, also blieb der einzige Weg der Demonstration in versteckten Botschaften. Und wo sollte man diese besser unterbringen, als in guten Kinofilmen, welche sich das halbe Kapitol anschauen werden...
"Ich will mit meinem Film etwas Neues wagen, verstehst du? Ich will eine Botschaft übermitteln, etwas, das bei den meisten Filmen heutzutage vergessen wird. Nebenbei brauche ich aber noch eine ansprechende Grundgeschichte, damit sich am Ende auch jemand ins Kino setzt, sonst war es ja umsonst..."
Ich hatte wirklich so einige Bedenken, was dieses Projekt anging, aber ich hoffte ich würde es irgendwie meistern.

"Alles klar", sagte ich, als er meinte, er hätte ohnehin auf meine Hilfe vertraut und nur deswegen dieses Thema angeschnitten.
Als er jedoch plötzlich anfing zu erzählen, dass er diesen Film mit einer impliziten Botschaft versehen wollte, die das Kapitol kritisierte, bedeutete ich ihm mit einem Finger auf den Lippen, er solle das nicht zu laut sagen. Ich war mir zwar selber nicht ganz sicher, aber mir war schon letztes Jahr vorgekommen, dass alle Räume, die mit den Hungerspielen zu tun hatten, vielleicht nicht videoüberwacht aber doch hin und wieder audioüberwacht wurden.
Man hörte nämlich zwar nicht viel davon, aber es gab dennoch Gerüchte, die sagten, dass das Kapitol diesbezüglich zu sehr scharfen Maßnahmen griff. Und ich wollte nicht, dass Mauricio irgendetwas zustieß. Insgeheim war ich natürlich der selben Meinung wie er über die Hungerspiele, zumal ich wusste, was es hieß bei einer Ernte dabei zu sein. Allerdings musste ich mir eingestehen, dass ich mich nicht ganz traute, so etwas auch zum Beispiel eben in einem Film öffentlich zu kritisieren. Und dieser Gedanke und die damit verbundene Wut über meine Furcht gab den Ausschlag für meine nächste Aussage. "Ich verstehe, was du meinst. Und auf mich kannst du definitiv zählen, wenn du Hilfe brauchst", flüsterte ich lächelnd.

Als sie den Finger vor die Lippen legte, wollte ich erst die Augen verdrehen über ihre übertriebenen Vorsichtsmaßnahmen, doch eigentlich hatte sie in solchen Angelegenheiten schon immer einen recht guten Riecher. Wahrscheinlich war ich einfach zu unvorsichtig...
"Das freut mich", flüsterte ich lächelnd zurück, "ich habe ja auch nicht vor mir Probleme einzuhandeln. Aber ich finde jemand sollte mal beginnen diese Film-Tabus zu brechen. Ich muss es nur gut verpacken, so dass man mir nichts vorwerfen kann, es wäre ja auch nicht wirklich einfach mich plötzlich von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Dafür kennen mich hier zu viele Leute, und diese würden fragen stellen, wenn ich plötzlich weg wäre. Von dem her ist es nicht wirklich gefährlich für mich", schlussfolgerte ich. Ich begab mich sicherlich in gefährliches Fahrwasser, doch wenn man wusste, wie man damit umzugehen hatte.
"Außerdem würde ich gerne eine weitere Neuheit einführen", fügte ich wiederum lächelnd hinzu, dieses Projekt schwebte mir schon eine ganze Weile vor Augen, aber nun würde ich es endlich mal ausführen, "ich würde mehrere der Hauptrollen gerne mit Distriktbürgern besetzen."
Mit angehaltenem Atem wartete ich auf ihre Reaktion. Ich wusste noch nicht Mal, ob mir das von den Oberen genehmigt werden würde, aber dafür würde ich meine Mittel und Wege finden! Und wenn ich es schaffte Distriktbewohner in meinen Film einzubauen,... nun das würde das Verhältnis Kapitol-Distrikt-Bewohner möglicherweise rapide umändern. Im Kapitol kannte man die Distrikte hauptsächlich von den Spielen her, falls diese jetzt aber beginnen würden geschichten zu erzählen. Das wäre etwas ganz anderes...

Ich war zugegeben etwas unsicher, was die Tatsache betraf, dass man Mauricio nicht einfach verschwinden lassen konnte. Denn wenn das Kapitol etwas wollte, konnte es es auch durchführen. Das machte mir Sorgen, doch ich wollte meinem guten Freund damit nicht auf den Ohren liegen. Ich würde ihm einfach bei seinem Projekt helfen, dann konnte ich ihn auch im Auge behalten.
Während er den Atem anhielt, konnte ich nicht anders, als auf seine nächste Neuigkeit überrascht zu sein. Das war etwas vollkommen Neues, doch wenn es funktionierte ...
Ich strahlte und sprach wieder mit lauterer Stimme: "Mauricio, die Idee ... ist einfach genial! Das könnte die Beziehung zwischen dem Kapitol und den Distrikten so stärken und in eine ganz neue, freundschaftlichere Ebene bringen."
Da fiel mir etwas ein, woraufhin meine Laune wieder sank und ich ihn missmutig ansah. "Vorausgesetzt man genehmigt dir das ... Glaubst du, das tun sie?"

Mein Grinsen wurde immer breiter, als ich merkte dass die Idee ihre ebenfalls gefiel. Das hieß, dass die erwünschte Reaktion der Kapitolbewohner Schonmal wahrscheinlicher war.
"Das ist auch mein Problem, aber ich denke ich schaffe das." Wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte ich immerhin ein ganz schöner Dickschädel sein.
"Ich brauche lediglich gute Begründungen und ein gutes Drehbuch", gab ich ihr zu bedenken, "ich werde das Drehbuch so auslegen müssen, dass die Rollen einfach besser von Distriktbewohnern gespielt werden können, als von Personen des Kapitols. Dann werde ich wahrscheinlich auf den Kosten-Faktor appellieren. Es wäre viel billiger sich solche Schauspieler auszuborgen... ich weiß noch nicht genau, wie ich das mache, aber es wird schon klappen."
Ich zerbrach mir darüber schon länger den Kopf, aber ich werde es schaffen!
"Also falls du irgendeine Idee hast, wie wir die Genehmigung bekommen, dann lass sie hören", richtete ich mich fragend an sie. Ich hoffte inständig sie hatte noch einen Einfall, der das ganze einfach machen würde, aber es erschien mir eher unwahrscheinlich.
"Und ich brauche natürlich noch eine Grundgeschichte, hast du dafür zufällig auch irgendeine Idee?", meinte ich lächelnd. Es wäre schon sehr praktisch, wenn sie mir die ganze Arbeit abnehmen würde.

"Das mit den Kosten und dem Drehbuch ist eine gute Idee", pflichtete ich ihm bei und dachte nach seiner nächsten Frage kurz nach. Hatte ich eine Idee? Im Moment fiel mir keine ein, deswegen sagte ich: "Also wenn mir etwas einfällt, gebe ich dir sofort Bescheid, okay?"
Da kam mir ein anderer Gedanke.
"Wenn du es schaffst dir diese Genehmigung zu holen, könnte ich beim Casting behilflich sein. Zumindest in Distrikt 1, schließlich komme ich von dort und kenn den Ort wie meine Westentasche", bot ich ihm lächelnd an. Dank meiner Mutter, die die Bürgermeisterin von Distrikt 1 war, war es mir ja erlaubt worden im Kapitol und in Distrikt 1 zu leben. - Eine seltene Ausnahme, doch ich war damals überglücklich gewesen, dass es funktioniert hatte und ich meinen Traum als Designerin verwirklichen hatte können.

"Stimmt", fiel ich ihr beinahe ins Wort, "ich vergesse ständig, dass du nicht von hier bist."
Sie hatte wirklich eine seltene Chance erhalten hier ins Kapitol zu ziehen, statt in ihrem Distrikt zu bleiben.
"Aber du hast auch nicht mehr diesen schrecklichen Akzent, den die Distriktbewohner haben."
Schrecklicher Akzent, natürlich! "Ich lasse die Hauptpersonen in meinem Film einfach den Akzent sprechen, welcher Kapitolbewohner könnte den denn sonst so gut nachmachen? Du bist genial Julyra!", fügte ich grinsend hinzu.
"Jetzt brauche ich nurnoch die passende Geschichte, ich brauche irgendetwas, das die Leute da draußen interessiert und mitreist! Es wird doch wohl irgendetwas geben, dass nicht schon tausendmal durchgekaut worden ist!"
Der Teil, in dem ich die Geschichte erfand, war der aller anstrengendste an meinem Beruf als Filmemacher. Manchmal übergab ich diese Aufgabe einfach anderen, doch bei diesem Projekt traute ich mich nicht es einen Fremden in die Hand zu drücken.
"Was interessiert die Menschen denn so in letzer Zeit? Es muss eine Generationsübergreifende Geschichte sein. Etwas das jeden interessiert, wenn möglich..."
Natürlich war das nicht möglich, keine einzige Geschichte gefiel jedem. Zumindest war das meine Meinung.

"Schrecklichen Akzent den die Distriktbewohner haben ..."
Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Er hatte ja keine Ahnung, wie der Kaptiolakzent auf einen wirkte, wenn man das erste Mal aus den Distriken ins Kapitol kam. Doch ich wollte es ihm nicht vorhalten. Schließlich hatte ich mich selbst dem Akzent hier auch schon angepasst und mir keine großen Gedanken darüber gemacht. Wenn man hier lebte, passierte das eben nun mal.
Als er sagte, ich sei genial, weil ich ihn auf diese Idee gebracht hatte, musste ich lachen: "Danke, aber ich glaube, auf die Idee bist du dann doch selbst gekommen. Aber du hast Recht, das wäre sicher ein weiterer guter Einwand, damit du die Genehmigung bekommst."
Nach seinen nächsten Aussagen sah ich mich nachdenklich im Zimmer um, ohne etwas wahrzunehmen. Etwas Generationsübergreifendes ... wenn das bloß einfacher wäre!
"Das Einzige, das mir dazu einfällt, ist, dass du eine Geschichte machen musst, die jeden irgendwie innerlich betrifft ... aber da so etwas schwer zu schaffen ist, würde ich einfach auch schauen, dass du vielleicht mehrere Genres nimmst und nicht nur Fantasy. Damit jeder etwas hat, das ihm gefällt, weißt du, was ich meine? Zum Beispiel würde wohl kein Mann freiwillig in einen ausschließlichen Liebesfilm gehen, wenn du das Ganze aber noch mit zum Beispiel Action vermischt, hättest du gleich zwei Zielpublika getroffen. Und wenn du noch mehr willst, packe einfach weitere Genres hinein."

"Oh nein", widersprach ich, "auf die Idee hast du mich erst gebracht..."
Das mit dem Drehbuch konnte wirklich noch eine knifflige Sache werden..., aber Julyra hatte recht, ich müsste den Film ziemlich vielseitig gestalten.
"Eine Liebesgeschichte muss so oder so hinein. Das ist nunmal das, was die Leute am meisten mitnimmt. Ich will allerdings keine dieser Kitsch-Geschichten..., aber wäre es nicht ohnehin besser, wenn das ganz schlecht ausgehen würde?", stellte ich die Frage offen in den Raum, "Was meinst du? Kann ich das machen, oder ist das dann zu brutal?"
Ein Film mit einem schockierendem schlechten Ende, der sie eher zum Nachdenken bewegen würde, wäre wahrscheinlich die bessere Wahl, das hieß, dass es am Ende meines Filmes bestimmt tote geben müsste.
"Ich denke ich werde Hauptpersonen im Alter von 12 bis 18 wählen", erwähnte ich beiläufig, aber der Wink wäre wohl klar. Wenn man nicht gezielt darauf achtete, würde einem die Parallele nicht auffallen, hoffte ich zumindest. Ich wollte nicht, dass mein gesamtes Werk am Ende beschlagnahmt werden würde...
"Ich bin mir aber nie sicher, wie nah ich den Film an der Realität bauen kann, dafür habe ich noch kein Gespür entwickelt", gebe ich zu. Was bräuchte so ein Film alles, um auf die unglückliche Lage unseres Systems aufmerksam zu machen?

Nachdenklich musterte ich ihn. Kann er es schlecht ausgehen lassen?
"Um ehrlich zu sein, weiß ich das leider selber nicht. Da fragst du lieber jemand anderen, der sich da besser auskennt. Aber ich denke mir, wenn du noch eine Fortsetzung drehen willst, würde ich es nicht zu schlecht ausgehen lassen", fügte ich scherzend hinzu.
"Hauptpersonen zwischen 12 und 18?", wiederholte ich und konnte das mulmige Gefühl dabei nicht loswerden. Der Wink war natürlich wieder offensichtlich und er würde es auch für das Kapitol sein. Ich konnte meine sorgenvolle Miene nicht mehr wegstecken und sah Mauricio damit an. "Ich steh ganz hinter dir und deiner Idee, das weißt du, aber ich hab ... Angst, Mauricio", gestand ich leise und sah ihm direkt in die Augen. "Angst, dass das Kapitol dir dann nicht bloß den Film wegnimmt, sondern noch Schlimmeres ..."

"Hör auf Julyra", entgegnete ich ebenso leise, "ich werde es schon nicht allzu dumm anstellen. Außerdem bin ich kein Feind des Kapitols. Ich will das alles ja ohne jegliche Gewalt machen..."
Ihre sorgenvolle Miene erschreckte mich. Ich entgegnete ihren geraden Blick, sah ihr in die schönen, grünen Augen.
"Ich werde vorsichtig sein, das verspreche ich dir. Ich drehe nur einen Film, nichts weiter. Wenn ich erst mal diese Genehmigung habe, dann ist das schlimmste eh schon vorbei. Und wenn sie dann schon etwas gegen mein Projekt haben, dann können sie mich für das Drehbuch kaum einsperren. Dann klappt es eben nicht", erwiderte ich, "und das wäre vermutlich das tragischste, dass mir passieren könnte."
Ich musterte sie weiter, ich wollte nicht, dass sie besorgt war, es gab auch keinen Grund dafür...
"Du musst dir keine Sorgen machen, wirklich nicht!", raunte ich ihr zu, "du gehst doch immer gleich vom schlimmsten aus."
Ich lächelte ihr schief zu, "ach komm schon, jetzt brauche ich ohnehin zuerst eine Geschichte!"

Er schaffte es meine Sorgen ein wenig zu vertreiben. Schließlich hatte er ja Recht, wenn sie ihm die Genehmigung nicht geben wollten, dann taten sie es eben nicht und das wäre es dann eben. Aber sie würden ihm sicher nicht die Genehmigung geben und ihn dann, wenn der Film anlief, dafür bestrafen. Das wäre wirklich absurd.
"Du hast Recht", sagte ich und lächelte ihm wieder zu. "Aber bei der Geschichte bin ich wahrscheinlich keine große Hilfe. Da musst du dir schon von wo anders Inspiration holen, sorry. Ich für meinen Teil hab jetzt Hunger bekommen. Hast du Lust, dass wir noch kurz was essen gehen in der Cafeteria bevor die Tribute kommen? Oder musst du noch deine Outfits fertigstellen?" Letzteres war mir so eben wieder eingefallen.

Gemeinschaftsraum

"Ach was, gehen wir was essen", meinte ich erfreut. Meine Outfits würde ich recht schnell fertig bekommen, dass sollte nicht das Problem sein...
"Ich muss sagen, ich habe jetzt auch ziemlich Hunger und nach der Parade ist man dann meist noch ewig beschäftigt... ja gehen wir was essen!"
Ich erhob mich von dem Sofa, wobei mir das Kissen wieder einfiel, auf welchem ich gesessen hatte.
"Das ist wegen vorhin", erklärte ich grinsend und warf ihr das Kissen an den Kopf, "hoffentlich ist deine Frisur jetzt genauso versaut wie meine! Und jetzt komm, ich glaube wir haben nicht mehr ewig Zeit, bis die Tribute eintreffen!", trieb ich sie an und verließ das Zimmer, um zum Gemeinschaftsraum zu gehen.

---> Gemeinschaftsraum

Gemeinschaftsraum

Laut Zeitplan, dauert es nicht mehr lange ...
Als ich in meinem Zimmer ankam, warf ich mich auf meine Couch und betrachtete die vier Kostüme vor mir. Sie waren fertig und ich hoffte, dass sie den Tributen aus Distrikt 4 auch gefielen. Ich persönlich war mit ihnen eigentlich zufrieden, aber meine Meinung war ja doch nicht ausschlaggebend, sondern bloß die des Publikums und besonders die der Sponsoren, schließlich würden jene die Tribute heute Abend das erste Mal zu Gesicht bekommen. Als mein Blick zum großen Spiegel glitt und ich mein eigenes Gesicht darin sah, wurde mir wieder bewusst, dass ich mich ja am besten noch umziehen und ein bisschen anders stylen sollte, falls man mich nach der Parade interviewen wollte. Letztes Jahr war das der Fall gewesen und heuer waren meines Erachtens nach meine Werke sogar noch besser als letztes Mal. - Na ja, aber ich kannte die Meinung des Publikums noch nicht, also sollte ich mir vielleicht besser keine falschen Hoffnungen machen.
Ich verdrängte den Gedanken, als ich aufstand und meine Kleidersammlung begutachtete. Natürlich wollte ich etwas tragen, dass ich auch selbst entworfen hatte. Davon abgesehen sollte es auch ein bisschen zu den Kostümen meiner Tribute passen.
Mein Blick fiel auf ein golden und silbernes Kleid, dass eng anliegend war und circa bis knapp über die Knie ging. Das Besondere an dem Kleid war der lange linke Ärmel, der an der Schulter mit Stickereien und wertvollen Steinen befestigt war.

Spoiler:

Ein Lächeln umspielte meine Mundwinkel, als ich es heraus nahm und auf die Couch legte.
"So jetzt fehlen nur mehr passende Schuhe dazu", murmelte ich vor mir hin und blickte zu meinem Schuhregal bis ich ein Paar fand, dass mir gefiel.

Spoiler:

Ich schlüpfte aus meinem jetzigen Outfit, zog das goldsilberne Kleid und die Schuhe an und wanderte ins Bad, wo ich mir noch statt der Lilie einen anderen Haarschmuck aufsetzte. Es war eine Art goldenes Lederband, das aussah wie eine Kette und das eine silberne Blume auf einer Seite hatte, hinter jener auch noch ein paar blaugrüner Pfauenfedern hervorlugten.

Spoiler:

Beim Make-Up beschränkte ich mich aber nur mehr auf Wimperntusche und einen roten Lippenstift, denn ich fand, dass mich das Kleid und die Schuhe schon genug schmückten. Davon abgsehen hielt ich nichts von überschwänglichem Make-Up, das einem gar nicht mehr die Person dahinter erkennen ließ. - Das war einfach nicht mein Stil.
Schließlich beschloss ich im Gemeinschaftsraum nach dem Verbleib der Tribute fragen zu gehen.

Gemeinschaftsraum