Distrikt 5: Finley Weston

Sicher, erwiderte ich und zwinkerte ihm mokant zu. Sicher ich wollte ihn los werden um mich dann hier allein zu langweilen.
Als er meinte, er hätte noch ein paar Minuten, lächelte ich erfreut.
Ich schob die Gedanken, was er danach machen würde, in den Hintergrund. Dass er Kinder, die gerade einmal etwa zehn Jahre älter waren als meine kleine Kimi, darauf vorbereitete andere Altersgenossen zu töten. Das war nicht seine Wahl und er half ihnen damit um vielleicht zu überleben. Damit sie zu ihren Familien zurück konnten.
Ich wollte ihn Fragen, ob es nicht eine andere Möglichkeit geben könnte.
Aber die Frage kam mir zu persönlich vor. Bei jedem anderen wäre es eine einfache Frage, aber bei ihm, wo die Hungerspiele über einen mehr oder weniger großen Teil seines Lebens bestimmten, könnte er es womöglich als Vorwurf auffassen, selbst wenn es nicht so gemeint war. Ich beschloss die Frage bei Gelegenheit vielleicht doch an zu schneiden, aber noch nicht jetzt.

Ein ziemlich zufriedenes Lächeln huschte kurz über das Gesicht von Fin und ich entsann mich, dass wir nur noch ein paar Minuten hatten, bevor er weg musste.
Komm her, deutete ich ihm grinsend.

Peshewa bat mich, zu ihr hinüber zu kommen. Unwillkürlich musste ich erneut lächeln.

"Lieber nicht", wehrte ich grinsend ab - obwohl ich im Augenblick natürlich nichts lieber täte als das - und schüttelte dabei den Kopf.
"Ich denke, es ist besser, wenn ich brav hier sitzen bleibe."

Herausfordernd sah ich sie an. Es wäre wirklich besser, wenn ich sitzen bliebe, ich hatte mein Verlangen eben erst unter Kontrolle gebracht. Wenn ich daran zurück dachte, was wir vor wenigen Minuten hier veranstaltet - oder besser gesagt nicht veranstaltet - haben, lief mir schon wieder ein Schauer über den Rücken.
Wie machte sie das bloß?

Fin wehrte ab, doch sein Grinsen dabei ließ mich ahnen, dass er nicht wirklich etwas dagegen hätte. Leicht enttäuscht verzog ich mein Gesicht, bevor ich ihn wieder anlächelte. Was meinte er denn mit 'brav'? Ich hatte schon nicht vor, jetzt ihn dazu zu bringen, da weiter zu machen, wo er vor dem schnellen Frühstück gestoppt hatte - obwohl ... - nein, dazu hatte er jetzt zu wenig Zeit.

Ich zuckte mit den Schultern. Bevor ich grinsend erwiderte: Okay, dann muss ich wohl zu dir gehen.
Ich schwang meine Beine vom Sofa, wobei mein gebrochener Knöchel sofort wild protestierte.
Dennoch tat ich zumindest so, als wollte ich mich aufrichten um dann zu ihm hinüber zu humpeln.

"Das ist Nötigung", schimpfte ich lachend ehe ich mich doch erhob.
"Du weißt genau, dass du den Fuß nicht belasten sollst. Also zwingst du mich - völlig gegen meinen freien Willen - doch zu dir zu kommen."
Ich übertrieb maßlos - und hatte Spaß dabei.

Die Distanz war in einem kurzen Augenblick überwunden - sie saß ja nicht weit entfernt.
"Also", sagte ich mit rauer Stimme. Meine Augen nahmen einen trüben Blick an. "Hier bin ich ... Was willst du?"
Es war nicht mehr als ein Hauchen.

Peshewas Duft hatte mich schon wieder eingehüllt und die Welt um mir herum verschwamm. Doch ich blieb standhaft, kam ihr nicht näher als nötig ... ich wollte anständig sein ... ich musste!

Nötigung? So was würde ich doch nie machen, entgegnete ich und lächelte ihn unschuldig an. Ließ mich aber wieder erleichtert zurück auf das Sofa sinken.
Ich bedachte ihn mit einem triumpfierenden Lächeln, als er wirklich aufstand und herüber kam, auch wenn er etwas weiter weg, als mir lieb war, stehen blieb.

Ich legte meinen Kopf schief und zog die Beine wieder auf Sofa. Das verletzte Bein legte ich auf ein paar Polster um es hoch zu lagern.
Ich fragte mich, ob es Fin wirklich störte, dass ich ihn dazu genötigt hatte, herüber zu gehen. Aber, auch wenn ich es aus seinen Gesten nicht wirklich deuten konnte, vermutete ich, dass es er nciht so viel dagegen hatte.

Ach nichts, meinte ich lächelnd, auf seine Frage, was ich wollte. Herausfordernd grinste ich ihn an.

"Nichts?", wiederholte ich gespielt entrüstet. "Ich nehme den weiten Weg von ..." ich drehte mich um und schätze "... geschätzten anderthalb Kilometern ..." eine maßlose Übertreibung " ... auf mich und du willst nichts?"

Es tat mir weh, dass Pesh nicht mit mir reden konnte. Doch ich wusste es gekonnt zu überspielen. Wie gerne hätte ich mich mit ihr unterhalten - richtig unterhalten. Ihre Stimme gehört. Den Hauch ihres Atems auf meiner Haut gespürt, während sie redete.

"Dann kann ich ja wieder gehen."
Natürlich rührte ich mich nicht.

Ach übertreiben brauchst du auch nicht, das waren höchstens ein Kilometer und 300 Meter, behauptete ich. Was fast genau so übertrieben war, wie Fins Einschätzung.

Als er jedoch meinte, da könnte er wieder gehen, griff ich nach seiner Hand. So schnell würde ich ihn nicht mehr zurück zu seinem Sessel gehen lassen, beschloss ich. Wir hatten schließlich nur noch ein paar Minuten, wenn überhaupt.
Ich könnte dich massieren, schlug ich vor. Das würde ihn dazu bringen noch etwas näher zu kommen. Und ich wollte ihn einfach in meiner Nähe haben.

"Du - mich? Massieren?"

Ich lachte schallend. Es war jedoch absolut nicht böse gemeint. Die Geste, mir das anzubieten, war wirklich nett. Immerhin konnte sie nicht wissen, dass ich nichts von Zuwendung auf Ansage hielt.

"Danke, nicht nötig. Ich bin fit."
Es stimmte. Ich war körperlich wirklich in Bestfassung. Vielleicht wollte sie ja massiert werden. Doch wie gesagt, ich hielt nicht viel von Zuwendung mit Ansage. Deshalb fragte ich nicht.

Anstatt dessen rutschte ich zu ihr hinüber und nahm ungefragt ihren Fuß in meine Hände und hob ihn vorsichtig von den Polstern.
"Machen wir lieber etwas sinnvolles", schlug ich vor und begann, ihn langsam zu dehen. Ich tat dies, bis ich den natürlichen Widerstand spürte, hielt diese Postition etliche Momente, ehe ich den Fuß langsam wieder in seine Ausgangsposition führte. Jetzt ging es in die entgegengesetzte Richtung.

"Da musst du jetzt durch!"

Fin lachte bei meinem Vorschlag laut auf. Verwirrt sah ich ihn an. Es war eigentlich nur nett gemeint, da brauchte er doch nicht gleich los zu lachen.
Als er dann dankend ablehnte, nickte ich bloß.

Als er sich jedoch neben mich aufs Sofa fallen ließ und meinen Fuß hoch nahm, sah ich ihn verwirrt an. Als er ihn dann jedoch langsam drehte, keuchte ich schmerzhaft auf. Ich vergrub meine Fingernägel in dem Bezug des Sofas.
Hi, es war nur nett gemeint und kein Grund mich zu foltern, meinte ich, auch wenn das übertrieben war. Das war wirklich keine Folter und vermutlich sogar hilfreich für meinen Fuß, aber schmerzte dennoch.

"Ich weiß.", lautete die Antwort, als sei sie völlig selbsterklärend.
"Trotzdem musst du da jetzt durch."

Obwohl Pesh gestern nicht wirklich schmerzempfindlich gewesen war - heute war sie es. Deshalb hörte ich nach nur fünf Durchgängen auf.

"Das hat so keinen Sinn.", erklärte ich ihr und ließ von ihr ab.
"Du musst dich entspannen. Auch wenn es unangenehm ist."
Ich setzte mich und lehnte mich an die weichen Kissen, ihren Fuß auf meinen Beinen liegend.

"Trotzdem machen wir das jetzt dreimal täglich."
Das klang, als wären wir ab jetzt täglich rund um die Uhr zusammen. Doch wie unrealistisch das war, nahm ich nicht wahr, weshalb auch der Stich in meiner Brust ausblieb. Anstatt dessen sah ich Pesh streng an.
"Hast du gehört? Entspannen!"

Juhu, deutete ich mit sarkastischem Gesichtsausdruck. Ließ mich dann aber nach hinten fallen, so dass ich nun auf dem Sofa lag. Der Fuß würde bestimmt auch ohne diese Übungen verheilen, dachte ich zumindest. Wobei Fin vermutlich besser darüber bescheid wusste. Hatte er eigentlich Erfahrung als Heiler?
Ich wusste, dass er ein Farmer war, aber hatte er auch einmal Medizin studiert oder sich das Wissen anders angeeignet? Egal wie die Antwort darauf war, ich vertraute ihm dabei.

Dass er mit seiner Aussage andeutete, dass er wirklich dachte, wir würden nun länger zusammen hier sein und auch fast die gesamte Zeit zusammen wären, bemerkte ich kaum.

Ich sah ihn entschuldigend an, als er mich mit einem strengen Blick bedachte.
Sorry, ich hab ein paar Probleme, was Entspannen bei Schmerzen angeht, meinte ich kurz.

"Das kann man trainieren", sagte ich ziemlich grob, deutlich schroffer, als ich es beabsichtigt hatte. Sofort entschuldigte ich mich und schlug einen sanfteren Ton an.

"Ich meine ... mit etwas Übung hälst du die Schmerzen besser aus. In ein paar Tagen machen dir die Übungen nichts mehr aus."

Das hatte ich zwar nicht wirklich gemeint, doch es war ebenso wahr.
Aus Erfahrung wusste ich, was Schmerzen waren. Seit sie eine Avox war wusste Peshewa das vermutlich auch. Doch anders als er musste sie sich nicht tagelang mit Schmerzen und groben Verletzungen durch eine Arena kämpfen um nicht getötet zu werden.
Der Schatten der Vergangenheit rückte näher, ließ sich jedoch durch den sanften Tonfall, den ich angeschlagen hatte, und Peshewas Anwesenheit, verdrängen.

"Leg den Fuß nachher wieder schön hoch, dann wird das schon.", bekräftigte ich.

Wie Peshewa so dalag sa sie sehr einladen aus. Nein, ermahnte ich mich. Nicht jetzt.
Doch ehe ich wusste, was ich tat, fragte ich sie "Weißt du eigentlich, dass du wirklich schön bist?"

Es war mein Ernst, auch wenn es vermutlich klüger gewesen wäre das nicht zu sagen. Obwohl es stimmte. Peshewa war zwar ziemlich dünn, aber hübsch. Nicht offensichtlich hübsch wie die Frauen, die regelmäßig präsentiert wurden. Peshewa war auf den zweiten Blick schön; feine Gesichtszüge, trotz ihres Lebens- und Leidensweges leuchtende Augen, eine positive Ausstrahlung, weiche, ebene Haut ...

Mein Mund wurde trocken ... Ich schluckte.

Ich weiß, entgegnete ich knapp und war fast sauer, dass ich mit den Händen keinen groben Ton anschlagen konnte wie er. Mit der Hand strich ich mir gedankenverloren über den Bauch. Aber das war zum Glück Vergangenheit.
Ich hätte mich nicht so anstellen sollen, es war ja wirklich 'nur' der Fuß. Aber dennoch wäre eine kleine Vorwarnung seinerseits echt nett gewesen, bevor er begonnen hatte, ihn zu verdrehen.

Bei seinem Komplimentt sah ich verwundert auf. Wie kam er jetzt darauf?
Danke, meinte ich lächelnd. Ich spürte wie meine Wangen leicht glühten und vermutlich rosig wurden.
Mit den Augen musterte ich ihn. Er sah wirklich gut aus und könnte vermutlich allein durch sein Aussehen jede haben. Aber auch durch seinen Charakter.

"Keine Ursache."

Ich wollte gerne mehr über Pesh erfahren, wollte jedoch nicht fragen.
"Okay, Vorschlag: Ich sage was - irgendwas, und du antwortest darauf mit dem ERsten, das dir in den Sinn kommt ... okay?"

Etwas dümmeres fiel mir nicht ein. So dringend wollte ich mehr über sie wissen, jedoch gleichzeitig nicht unsensibel sein oder aufdringlich wirken. Ich wusste noch so wenig über sie, und sie schien so viele Facetten zu haben ...

Ich zog eine Augenbraue hoch, bei Fins Vorschlag und setzte mich auf.
Misstrauisch sah ich ihn an. Wollte er auf etwas bestimmtes hinaus?
Aber warum nicht? Bei unangenehmen Dingen könnte ich immer noch 'Nein' sagen, als erstes was mir in den Sinn kam.

Okay, aber dafür musst du nach jeder Frage auch auf eine von mir antworten, was dir als erstes duch den Kopf schießt, erwiderte ich. Vielleicht konnte ich damit noch etwas mehr von ihm erfahren.

Innerlich ohrfeigte ich mich. Ich hätte mit solcher einer Reaktion rechnen müssen. Aber es schien mir fair, also willigte ich ein.

"Aber nicht lügen. Keine Unwahrheiten, nichts beschönigen oder weglassen. Wenn man nicht antworten will sagt man weiter und bekommt eine neue Frage. Einverstanden?"

Obwohl ich eine Lüge vielleicht sogar erkennen würde wollte ich das Risiko nicht eingehen. Außerdem war es eine gute Vertrauensübung.

Ich richtete mich auf.

"Okay", seufzte ich und überlegte. "Also: Wenn du jetzt überall mit jedem sein könntest. Wo wärst du und mit wem und warum?"

Na gut, die Frage war nicht wirklich geistreich, doch schien sie mir ein recht einfacher Einstieg zu sein. Erwatungsvoll sah ich Peshewa an.

Okay, für dich gelten die gleichen Regeln. Indianerehrenwort. Kindisch hielt ich meinen kleinen Finger hoch und wartete, ob er seinen zur Bestätigung einhacken würde.

Bei seiner Frage musste ich nicht lange überlegen. Genau hier mit dir - Klang das jetzt komisch? Aber es stimmte. -und mit Kimi, fügte ich noch hinzu. Vielleicht wäre es im Park, bei den Fröschen oder beim Teich noch schöner, aber das fiel mir erst kurz darauf ein.

Und was ist mit dir? Mit wem würdest du jetzt am liebsten wo sein?, stellte ich die Gegenfrage. Wäre er am liebsten wieder in seinem Distrikt daheim? Und wenn ja mit wem?

"Indianerehrenwort", bestätigte ich feierlich und hakte ein.

Pesh antwortete - und die Antwort erstaunte mich, auch wenn ich vielleicht damit hätte rechnen müssen. Hatte ich aber nicht. Dennoch versetzte mir die Antwort ein flaues Gefühl im Magen. Hier hallten die Worte wider mit dir ...
Ärgerlich verdrängte ich den Gedanken, dass dies Gründe der Bequemlichkeit oder besserer Möglichkeiten waren, ehe Peshewa ihre Gegenfrage stellen konnte.

Das Lächeln, das ich noch beim Indianerehrenwort auf den Lippen hatte, verschwand.
"Zu Hause." In Distrikt 5. Auf meiner Farm. Bei meinen Tieren, bei meinen Kindern. "Mit dir, Kimi und deinen Eltern..." Auch wenn sie das Gleiche gesagt hatte, stimmte es. Ich wollte sie dabei haben. Doch mit ihrer ganzen Familie, nicht nur mit Kimi. ... und den diesjährigen Tributen.

Offen. Ehrlich. Das war die Bedingung.
Dennoch hielt ich es für klüger meine letzten Worte nicht laut auszusprechen.

... ohne meinen Job als Mentor. Ohne die Hungerspiele.
Doch diese Meinung äußerte ich nie. Nicht einmal wortlos.

Es dauerte ein paar Augenblicke, ehe ich wieder aufsah.

"Okay, ich bin dran. Was war der schönste Tag in deinem Leben?"
Ich war mir bewusst, dass dies ein heikles Thema sein könnte, dennoch wagte ich die Frage.

Erstaunt sah ich Fin an. War das sein Ernst? Oder nur eine Spur von Höfflichkeit nach meiner Antwort? Hatte er Angst mich sonst zu verletzen oder zu kränken?
Aber eigentlich hatte er mir sein Ehrenwort gegeben hatte, dass er nicht lügen würde. Also musste es stimmen, oder? Ich stellte mir das vor und musste lächeln - zumindest bis mir wieder einfiel, was der Nachteil der Distrikte war und was Kimi dort erwarten könnte. Dass sie mit ihm wieder hier her fahren müsste in einigen Jahren um als Tribut um ihr Leben zu kämpfen.
Erschrocken fuhr ich zusammen, bis mir wieder klar wurde, dass das sowieso unmöglich war.
Dennoch blieb ein ungutes Gefühl und ich hatte um so mehr Mittleid mit den Kindern hier und deren Familien in den Distrikten. Wie konnte es nur sein, dass die Leute hier noch immer nichts dagegen unternehmen? Dass Eltern, deren Kinder gerade in dem Alter waren, sich nicht dagegen wehrten, sondern es unterhaltsam fanden.

Bei Fins Frage legte ich meine Hand auf meinen Bauch, jetzt aber aus einem anderen Grund. Bevor ich ihm antwortete: Der Tag, an dem ich erfuhr, dass ich zu Kimi schwanger war. Sie war nicht geplant gewesen und dennoch hatten wir uns so darüber gefreut.

Und dein schönster Tag?, wollte ich wissen. Vielleicht sollte ich andere Fragen als er stellen, aber es interessierte mich genau so von ihm.

Etwas wehmütig hörte ich Peshewas Anwort. Sie hatte sich auf ihr Kind gefreut - zusammen mit ihrem Mann. Natürlich, weil sie wusste, das es in Sicherheit war. Ich kannte niemanden, der sich ohne Reue auf Kinder freute - mich selbst eingeschlossen. Es schwebte stets eine dunkle Wolke über einem Kinderwunsch.

Doch Peshs Gegenfrage - wieder meine eigene - riss mich aus meinen Gedanken.
Mein schönster Tag? Ich hatte noch nie einen rundum schönen Tag erlebt. Doch es gab schöne Erlebnisse. Zum Beispiel, wenn die Kinder aus dem Weisenhaus mich besuchten - oder ich sie. Die Momente, in denen ich meine Arbeiter großzügig entlohnte und wusste, dass es ihnen und ihren Familien gut ging, sie genug zu Essen hätten. Kindertage, in denen ich wissbegierig den Erwachsenen auf die Nerven ging und mehr lernte, als ich je gedacht hätte. Der kurze Moment, in dem ich realisiert hatte, dass ich mein Leben noch vor mir hatte. Das stetige Wachsen meiner Farm - innerhin hatte ich mit nur einer Scheune begonnen. Wenn die Tiere Nachwuchs bekamen .. Aber all das waren Momente, kein ganzer Tag.
Es gab allerdings mehrere schöne Stunden. Eine Zeit, die mehr als nur einige Augenblicke andauerte.

"Gestern", gab ich leise zu. "Ich denke, mein schönster Tag war gestern."
Verlegen räusperte ich mich, ehe ich mir eine neue Frage ausachte.

"Ähm ... Wie ist dein Chef?"
Ich grinste siegessicher. Diese Frage würde sie mir nicht stellen können.

Fin überlegte eine Zeit lang, bevor er eine wirklich überraschende Antwort gab. 'Gestern'. Der Tag gestern war auch für mich einer der schönsten seit sehr langer Zeit. Aber da er nichts in die Richtung gefragt hatte, blieb das vorerst noch ungesagt.

Sei seiner Frage schüttelte ich bloß den Kopf. Wie sollte man Swell schon beschreiben? Er war ein vollkommener, egoistischer Idiot. Ich sah mich in dem Zimmer um und überlegte, ob es hier Überwachungskameras gab. In dem Fall wäre eine ehrliche Antwort wohl ziemlich schlecht.
Aber ich vermutete mal nicht, sonst hätte Fin mich nicht hier her gebracht.
Scheiße, und wenn ich mir nicht Sorgen um Kimi machen würde, hätte ich ihm längst Nachts ein Messer ins Herz gerammt, gestand ich ehrlich. Wie oft war ich im Morgengrauen in seiner Tür gestanden und hatte genau mit dem Gedanken gespielt. Der Typ verdiente nichts anderes.

Diese Frage konnte ich nicht zurück geben, also musste ich mir eine Gegenfrage überlegen: Wenn du drei Wünsche frei hättest, egal welche, was würdest du dir wünschen? Ein Wunsch war meistens schnell irgendetwas gesagt, bei drei musste man sich wirklich Gedanken drüber machen und man erfuhr dadurch schon mehr von der Person einem gegenüber.

Ich hatte Swell bereits kennen gelernt - Pesh Beschreibung traf die Wirkung, die er in einem hervor rief, ziemlich genau.

"Drei Wünsche?"
Ich grübelte. Dich war mein erster Gedanke, doch es klang abgedroschen.
Ein Ende der Spiele der zweite, doch solche Gedanken äußerte ich ja nie.

"Ähm ... als erstes würde ich den Menschen aus Panem ein sorgenfreies, gesundes Leben wünschen." Das war wohl die harmlose Umschreibung für keine Spiele, keine brutalen Friedenswächter, kein Arbeiten bis zum Tod, ausreichend medizinische Versorgung und keine Hungersnot.
"Als zweites... " Ich dachte ernsthaft darüber nach, doch ich hatte mir nie groß Dinge gewünscht. Meine Farm und mein Training bestimmten mein Leben, meine Persönlichkeit. Etwas anderes - außer den Spielen - hatte es nie gegeben. Ich hatte mich damit abgefunden und war zufrieden, strebte nie nach etwas anderem. Versuchte die Not anderer zu lindern, doch hatte keine Pläne mit mir selbst.
"Hm ... ich denke mein zweiter Wunsch wären mehr Bildungsmöglichkeiten. Ich meine vielseitiger ..."
Das war wohl eine gute Wahl. Die Kinder in den Distrikten lernten gerade so viel, dass es zur Arbeit im jeweiligen Bezirk reichte.

Mehr fiel mir wirklich nicht ein. Nichts aufrichtiges.
Zwar hatte ich über Peshewa nachgedacht, über Kimi und mich. Doch auch wenn ich mir jetzt nichts sehnlicher wünschte als eine Familie mit Pesh und ihrer Tochter, eine Heimat, eine Frau, die auf mich wartete, wusste ich nicht, woher diese Gedanken kamen. Ich hatte mich nie im Zusammenhang mit anderen Menschen gesehen - schon gar nicht mit einer Frau an meiner Seite, von Kindern erst recht zu schweigen.

"Meinen letzten Wunsch würde ich verschenken. Oder mir wünschen dass jemand anders sich etwas wünschen darf. Jemand, der wirklich diesen Wunsch braucht...."
Es klang total blöd, doch es war ehrlich. Ich hatte für mich keine Wünsche. Ich war war er ich war, daran würde sich nie etwas ändern. Man musste sich selbst akzeptieren, wie man war.
Ein möglicher Wunsch wäre noch gewesen, all die negativen Erlebnisse zu streichen, die Angstzustände und Albträume verschwinden zu lassen - doch erstens hatten mich all diese Erfahrungen zu dem Menschen gemacht, der ich heute war, und zweitens hätte ich Peshewa dann eingestehen müssen, dass ich sehr schwache Momente hatte.

"Was würdest du dir wünschen?"

Nichts für dich persönlich?, fragte ich, bei seiner Antwort.

Jetzt war er es, der meine Frage zurück gab. Ich lächelte kurz, bevor ich mir darüber begann Gedanken zu machen.

Dass der erzwungene Friedensvertrag vernichtet wird und die Hungerspiele abgesetzt würden, lautete meine erste Antwort. Selbst wenn mcih die Spiele selbst nie betroffen hatten, lautete auf diese Frage schon seit Jahren meine erste Antwort so. Wir waren ein Land, eine Rasse, warum konnten wir nicht in Frieden leben und vergessen, was vor fast einem Jahrhundert vorgefallen war?

Der zweite Wunsch war schon schwieriger, aber auch den wusste ich schnell: Mein zweiter wäre wohl, dass Kimi normal aufwachsen könnte. Wobei normal wohl eine Deffinitionssache war. Ich dachte dabei einfach an eine Kindheit, wie die meisten sie hier hatten. Dass sie Vater - wobei hier mein Gedanke nicht mehr unbeding Hakan war - und Mutter - am besten eine, die nicht stumm war und ihr Abends Schlaflieder vorsingen könnte - hatte und bei ihnen leben könnte.

Die 3. Frage war auch bei mir schwierig. Es gab so vieles, was man sich wünschen könnte. Für die Welt, für meine Tochter, für die Menschen in Panem, oder auch nur für meine Eltern. Alberne Wünsche, bedeutsamerer Wünsche.
Schließlich meinte ich - vor allem, weil ich vorhin ihn gefragt hatte, ob er sich nichts für sich wünschte - was mir immer wieder im Kopf herum spukte. Dass du nicht weg gehst.
Erst als ich es gedeutet hatte, fiel mir auf, wie komisch das klang - und da dachte man sich, wenn man mit den Händen sprach, rutschte einem weniger schnell unangepasste Bemerkungen heraus.

Auf Peshwas Frage, ob ich mir nichts für mich selbst wünschen wollte, schüttelte ich bloß den Kopf.
Ihre ersten beiden Antworten konnte ich absolut nachvollziehen. Bei der letzten jedoch sah ich von ihren Händen auf und in ihr Gesicht. Das ich nicht weg gehe?

"Du könntest mitkommen." Auch wenn es mir nur raus gerutscht war, redete ich gleich weiter. "Mit Kimi. Ich könnte dich freikaufen, wir könnten uns einen guten Arzt suchen, und ..."
Ich verstummte. Erst jetzt merkte ich, was ich da redete. Es war das, was ich schon so oft gedacht hatte - und eigentlich nie hatte sagen wollen. Doch jetzt war es raus. Unwillkürlich zitterten meine Hände. Das kam inzwischen viel zu häufig vor.

Erst wollte ich mich dafür entschuldigen, ließ es dann jedoch. Auch auf die Gefahr hin, dass sie mir böse war, es mir übel nehmen würde.

Da sie mir keine Frage gestellt hatte sagte ich nichts sondern nahm, ehe Pesh überhaupt auf meine Worte reagieren konnte, ihre Hand, hoffte, dass ihr das kaum warnehmbare und von mir mit größter Anstrengung zu unterdrücken versuchte Zittern enting, legte sie gegen meine Wange und schloss die Augen. Ihre - wenn auch nicht ganz freiwillige - Berührung schien wie ein Tropfen auf einem heißen Stein.
Ihre sonst so beruhigende Wirkung blieb aus. Zu unruhig war ich wegen ihrer ausstehenden Reaktion.

'Du könntest mit kommen.' Anstatt zu sagen, wie naiv mein letzter Wunsch war, schlug er das tatsächlich vor. Gut es war unmöglich, genau so wie unsere anderen Wünsche. Und er schien den Gedanken kurzzeitig sogar noch weiter zu spinnen. Er meinte etwas von freikaufen, davon, dass Kimi auch mit könnte und von einem Arzt, bevor er plötzlich verstummte.
Ich schloss kurz die Augen und stellte mir das vor. Damit wäre Wunsch 2 und 3 erfüllt, aber es war lächerlich zu glauben, dass es funktionieren könnte. Ich wusste nicht einmal, ob es möglich wäre, einen Avox frei zu kaufen und selbst wenn, hatte er vermutlich nicht die Mittel dazu. Oder er würde das Geld wo anders um vieles besser anlegen können.

Seine Hände zitterten leicht und bevor ich etwas erwidern konnte, nahm er meine Hand in seine und drückte sie gegen seine Wange.

Ich zog meine Beine von seinem Schoß und rückte näher an Fin heran. Ich gab ihm einen flüchtigen Kuss, bevor ich meinen Kopf gegen seine Schulter lehnte - auch auf die Gefahr hin, dass er mich einfach weg stoßen würde - und schloss die Augen.