der Park

"Oh", murmelte Kimi traurig und umarmte den Mann spontan. "Tschüss Fin."
Ich sah die stumme Enttäuschung in ihren Augen, auch wenn sie tapfer lächelte. Sie war verdammt reif für ihr Alter.
Es hat uns auch sehr gefreut, meinte ich und zog Kimi an mich heran. Während er sich wieder aufrichtete und seine Kleidung glatt strich. Viel Glück, wünschte ich ihm noch. Für ihn und seine Tribute. Plötzlich fragte ich mich, was er davon gehalten hätte, wenn ich noch immer gegen die Spiele demonstrieren würde. Er hatte sie damals überlebt und sie waren scheinbar sein Job, wäre er also gekränkt? Oder hatte er die Spiele auch satt? Darauf würde ich vermutlich nie eine Antwort bekommen, weil die Frage verboten war.
Bevor er jedoch wirklcih gehen konnte, riss ich mich zusammen und fragte: Hätten Sie - du vielleicht einmal Zeit einen Kaffee trinken zu gehen?
Aus irgendeinem Grund wollte ich ihn wieder sehen und das lag scheinbar nich nur an Kimi.

Als ich dachte ich sei überrumpelt, als mich die Kleine umarmte, so wusste ich nicht, was die harmlose Frage nach Kaffee trinken in mir auslösen würde.

Ich war im Kopf schon wieder auf dem Weg ins Verwaltungszentrum gewesen. Hatte an mein Notizbuch gedacht, dass dort auf mich wartete. Und dann das. Kaffee trinken. Wollte ich mit ihr Kaffeetrinken? Die Antwort war eindeutig: Ja! Ich mochte sie. Und ihre Tochter. Die beiden wirkten nett, freundlich und brachten mich zum lachen. Aber durfte ich mit ihr Kaffeetrinken? Die Antwort war genauso eindeutig: Nein. Und wäre es sinnvoll, mir ihr Kaffee zu trinken? Vermutlich nicht. Wozu sollte es führen? Ich war während der Spiele theoretisch dauerhaft im Kapitol, das restliche Jahr jedoch nur sporadisch und eher selten. Ich wurde öfters ins Kapitol eingeladen, folgte diesen Einladungen jedoch äußerst selten. Ich hatte keinen Grund, ins Kapitol zu reisen. Und wenn die Einladung nicht von höchster ebene stand entschuldigte ich mich meist mit meiner Farm. Das funktionierte immer.

Doch ehe ich mich besann, deutete ich ein Ja. Ich schluckte schwer. Als ich sicher war, dass die Kleine nicht hinsah, teilte ich Peshew hastig mit, dass ich bis zum Beginn der Spiele nur morgens bis 7:00 Uhr oder ab 21:00 Uhr Zeit hätte. Ich schloss kurz die Augen ehe ich mit einem Kloß im Hals zeigte Ich bin Finley Weston, Mentor für Distrikt 5. Ich muss mich um meine Tribute kümmern.
Ich war froh, nicht sprechen zu müssen. Ich wusste, dass diese Worte ihr erklärten, weshalb ich wenig Zeit hatte. Nicht dass sie dachte, es läge an ihr. Ich wusste jedoch auch, dass sie nun wusste wem - oder was - sie gegenüberstand.
Falls Du wirklich Lust auf einen Kaffee oder so haben solltest lass mir eine Nachricht zukommen bat ich sie. Ich wusste, dass die Avox auch abteilungsübergreifend Nachrichten überbrachten. Und ich wusste zwar nicht für wen Peshew arbeitete, jedoch waren Avox meist nur für höher gestellte Menschen im Kapitol eingeteilt: Politiker, Spielmacher, Mentoren, Stylisten, ... Sie müsste nur so tun, als wäre die Nachricht von ihrem Vorgesetzten und diese zu mir senden. Und ich wüsste Bescheid. Anders herum wäre es schon schwieriger.

Ein mir völlig unbekanntes Ziehen ließ mich erkennen dass ich durchaus auf eine positive Reaktion - oder zumindest keine negative - hoffte. Ich konnte mir zwar denken, dass sie mich für einen Mentor hielt, vor allem weil ihre Tochter mich bereits danach gefragt hatte, jedoch war es etwas anderes, es tatsächlich auszusprechen.

Ich lächelte erfreut, als er trotz seiner überraschten Mine bei meiner Frage, mit Ja antwortete und mir dann gleich auch die Zeit deutete, wann es bei ihm ging.
Bei seiner Erklärung wer er genau war, zuckte ich kurz unbewosst zusammen und zog Kimi noch etwas näher zu mir, obwohl ich es eigentlich schon gewusst hatte. Schließlich nickte ich mit einem wieder freundlichen und auch ehrlichem Lächeln. Wunderte mich aber trotzdem, dass er als Mentor Zeit hätte mit mir Kaffee trinken zu gehen oder auch für diesen Spaß hier.
Ich werd dir schreiben, wann ich Zeit habe, deutete ich ihm. Denn bei mir kam es auch ganz darauf an, wann ich mich aus dem Haus schleichen konnte, ohne dass Mr Swell etwas davon bemerkte. Wobei das während der Zeit der Hungerspiele meistens einfach ging. Aber ich hoffte wirklich, dass wir die Zeit finden würden für einen Kaffee.

Ihre Miene und die Art, wie sie ihre Tochter zu sich zog, ließen wenig Raum für die Hoffnung, dass ihr mein Beruf, wenn man so wollte - oder war hier Berufung der bessere Ausdruck - nichts ausmachte. Doch sie war eine Avox. Sie musste nie in die Arena. Sie wusste nicht, wie es war, Teil der Spiele zu sein. Was wusste sie schon? Und wenn sie dachte, ich sei nicht gut genug, dann bitte. Zumindest redete ich mir das ein.
Ich wünschte mir sehr, sie noch am selben Abend wiedersehen zu können ...

Ich verabschiedete mich nochmals, mit gebührendem Sicherheitsabstand, denn Peshews Körperhaltung wies darauf hin, dass sie Wert darauf legte, von Kimi. "Ich werde üben und wenn wir uns mal wieder über den Weg laufen kann ich bestimmt weiter hüpfen als du", lächelte ich. Dass ich statt des wenn ein falls hätte einsetzen sollen wusste ich. Doch Kimi war vier. Das musste nicht sein.

Ich nickte Peshew kurz zu und verschwand. Nicht Richtung Park, sondern tiefer in den angrenzenden Wald hinein ...

---> Spiele / Verwaltungszentrum / Unterkünfte der Mentoren / Distrikt 5: Finley Weston

Ich sah die kurze Enttäuschung über das Gesicht von Fin huschen, als ich Kimi zu mir zog. Ich kam aber nicht mehr dazu, es ihm zu erklären. Es war nichts gegen ihn, ich wollte nur meine Tochter so weit es möglich war von den Hungerspielen fern halten. Sie sollte keine von diesen Fans werden und genau so wenig sollte sie wie ich werden. Ich wollte sie einfach vor der Wahrheit unserer Welt beschützen, auch wenn mir klar war, dass das unmöglich war.
"Ne, glaub ich dir nicht", meinte das Mädchen grinsend, als Fin behauptete er würde trainieren umd ann weiter hüpfen zu können als sie.
Ich lächelte ihn noch einmal an und fragte mich, warum ich mir eigentlich Sorgen machte. Er hatte die Hungerspiele bis auf dieses eine mal kein einziges mal erwähnt und auch Kimi nichts darüber verraten.
Ich sah Fin noch längere Zeit hinterher, als er im Wald verschwand. Erst als mich Kimi an der Hand zog, ließ ich mich von ihr zum Spielplatz ziehen, wo uns eine halbe Stunde später meine Mutter abholte. Ihre Begeisterung über die dreckigen Sachen von Kimi hielten sich in Grenzen.
Wir verabschiedeten uns kurz, bevor ich auch schon wieder den Rückweg antrat in der Hoffnung, dass Mr Swell noch nicht zu hause war.

--> Villa Swell

<--- Spiele / Verwaltungszentrum / Unterkünfte der Mentoren / Distrikt 5: Finley Weston

Ich schlenderte längere Zeit durch den Park, ehe ich ziemlich pünktlich gegen 20:00 Uhr am kleinen Bachlauf ankam, an dem ich schon den Nachmittag verbracht hatte. Ich wollte nicht herumstehen und warten, weshalb ich mich auf einem Baum verzog und wartete. Würde Peshewa überhaupt auftauchen? Was würde dieses Treffen bringen? Wieso war ich überhaupt gekommen?
Doch als ich mich an ihr Lächeln erinnerte wusste ich, weshalb ich gekommen war ...

--> von Villa Swell

Eigentlich war ich den ganzen Weg von meinem Arbeitsplatz bis zum Park völlig entspannt mit genügend Vorfreude, doch als ich den schon fast ganz dunklen Wald betrat, verschwand das Gefühl sofort wieder und machte Nervosität breit. Was sollte das eigentlich? Ich konnte mich ja nicht einmal wirklich gut mit ihm unterhalten und es war für ihn bestimmt ein Risiko sich mit einer wie mir sehen zu lassen.
Als ich am Bachlauf kurz nach acht Uhr auftauchte, seufzte ich zum Teil enttäuscht, aber auch eine winziger Funke Erleichterung überkam mich. Von Fin fehlte jede Spur.
Ich hob einen flachen Stein vom Ufer auf und ließ ihn ein paar mal auf der Wasseroberfläche hüpfen, während ich wartete, ob er doch noch auftauchen würde.

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich sah, wer das Knacken der Äste auf dem Boden verursachte. Sie war wirklich nicht zu überhören.
Lautlos ließ ich mich auf den Boden gleiten und näherte mich ihr. "Guten Abend", sagte ich mit gedämpfter Stimme nah an ihrem Ohr und hoffte, sie nicht zu sehr zu erschrecken.

Ich hatte im Park eine Tasche mit zwei Krügen, einer Thermokanne mit heißem Kaffee sowie einer Flasche Wein deponiert. "Ich bin gleich wieder da", erklärte ich und verschwand für ein paar Augenblicke, ehe ich mit der Tasche in der Hand wieder auftauchte.
Lass uns noch ein Stückchen in den Wald laufen, okay? bat ich Peshew höflich und hoffte, sie würde es mir nicht übelnehmen. Sie sah gut aus in der engen Jeans und das dunkelgrüne Top passte sehr gut zu ... Stop! mahnte ich mich. Was soll das?
Ich wartete auf ihre Reaktion.

Ich zuckte leicht zusammen, als ich plötzlich einen warmen Atem an meinem Ohr spürte, doch als ich die Stimme gleich darauf hörte, breitete sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus.
Guten Abend, entgegnete ich, als ich mich zu ihm umgedreht hatte. Erleichtert stellte ich fest, dass auch er sich nicht in Schahle geworfen hatte, sondern mehr bequeme Sachen trug.
Verwundert sah ich ihm nach, als er wieder verschwand. Es war irgendwie absurd, so absurd, dass ich leise kicherte, als er mit einem Tasche in der Hand wieder auftauchte. Hatte er vor ein Picknick zu machen?
Bei seiner Frage nickte ich mit verborgener Begeisterung. Ich mochte die Abgeschiedenheit des Waldes, wo man nicht auf Schritt und Tritt von jedem beobachtet und komisch angeshen wurde, sobald man mit den Händen zu sprechen begann.

Wir gingen ein ganzes Stück tiefer in den Wald, als ich anfangs geplant hatte. Peshewa schien nichts dagegen zu haben und je weiter wir liefen, desto wohler fühlte ich mich. Stellenweise war es etwas steiler und ich bot Peshewa meine Hand an, dass ihr der Aufstieg leichter fiel.

Als wir an einem kleinem Teich ankamen, deutete ich auf einen Felsvorsprung der etwas oberhalb lag. Gemeinsam erklommen wir die Anhöhe und ließen uns auf dem Felsen nieder. An Decken hatte ich nicht gedacht - einfach weil ich dieses Treffen überhaupt nicht einordnen konnte - aber glücklicherweise war es warm genug und wir würden die nächsten Stunden, selbst wenn die Sonne verschwand, nicht frieren müssen. Ich zog die zwei Krüge aus meiner Tasche und reichte Peshewa wortlos einen während ich meinen beiseite stellte. Ich zog die Thermoskanne und die Weinflasche hervor, hielt beides hoch und sah sie fragend an.

Ich wusste, dass Wein - zumindest für mich - keine gute Idee wäre. Im Kapitol war das ein übliches Getränk, doch Wein ließ mich entweder all meine Ängste vergessen und zu dem Mann werden, der ich gerne wäre - und in Peshewas Gegenwart auch zumindest teilweise zu sein schien - oder meine Ängste ergriffen Besitz von mir. Deshalb mied ich Alkohol üblicherweise. Und Kaffee war mir bei dem Wetter einfach zu warm. Ich war froh, Peshewa die Entscheidung überlassen zu können.

Fin führte uns tiefer als erwartet in den Wald hinein, was mir aber nur recht war. Obwohl sich mit der Zeit in mir doch die Frage stellte, warum ich ihm gegenüber nicht misstrauischer war.
Mit einem Lächeln bedankte ich mich, als er mir bei einem Abhang die HAnd reichte um mir hoch zu helfen.
Plötzlich tauchte vor uns eine kleine Lichtung mit einem Teich und darüber einem Felsvorsprund auf. Ich fragte mich, wie viele Menschen überhaupt von dieser abgelgenen und doch wunderschönen Stelle wussten, denn die meisten blieben einfach nur auf den angelgten Wegen des Parks.
Warst du schon einmal hier?, fragte ich Fin und sah mich staunend um. Irgendwie glaubte ich nicht, dass wir zufällig hier gelandet waren.
Zusammen mit ihm kletterte ich auf den Felsen hinauf und setzte mich dort hin. Der Stein war noch schön warm von der Sonne.
Ich lächelte Fin zu, als er eine Thermoskanne und eine Weinflasche fragend in die Höhe hielt.
Was wäre wohl das bessere?
Schließlich deutete ich auf die Thermoskanne, obwohl es noch etwas heiß für Kaffee war. Aber Kaffee war irgendwie unverfänglicher als Wein und es war Jahre her, dass ich das letzte mal Alkohol getrunken hatte, so dass ich keine Ahnung mehr hatte, wie mein Körper darauf reagieren würde nach der langen Zeit. Wenn es dir passt, fügte ich noch hinzu, falls er lieber Wein trinken würde, wäre mir das auch recht.

Lächelnd schenkte ich Peshewa Kaffee ein, mir notgedrungen auch. Ich hätte einfach noch eine Flasche Wasser mitnehmen sollen, dachte ich leicht verärgert.

Zuletzt vor 14 Jahren, beantwortete ich schließlich Peshewas Frage. Selbst wenn man uns aushorchen wollte: Es wäre nichts zu hören. Ich war damals während meiner Tour der Sieger hier gewesen. Ich konnte mir üblicherweise viel merken, deshalb auch den Weg zu dieser Lichtung. Damals war ich einfach abgehauen weil ich die Nase voll hatte und war hier gelandet. Das heute war Absicht.
Kimi ist bei deinen Eltern? wollte ich wissen. Bestimmt lag sie schon im Bett und träumte von Fröschen und Pfützen während sie schlief. Oder sie war viel zu aufgekratzt und plapperte fleißig. Sie war so lebensfroh.

Erst jetzt sah ich Peshewa das erste mal richtig an. Ihre schwarzen Haare, die zerbrechlichen femininen Gesichtzüge. Erst die Tatsache, dass sie mir mit ihren Händen antwortete rief mir wieder ins Gedächtnis, dass sie eine verurteilte Verbrecherin war. Mein Körper reagierte promt und verkrampfte sich, ließ sich von außen jedoch nichts anmerken. Ich bekam mich nach ein paar Atemzügen in den Griff und zwang mich, meine Muskeln zu entspannen. Ich lächelte. Das Lächeln, das meine Augen nie erreichen konnte.

Es ist schön hier, meinte ich und ließ meinen Blick noch einmal über die Lichtung gleiten, bevor ich wieder zu dem Mann sah. Wirklich begeistert wirkte er nicht von meiner Wahl, hätte er lieber Wein getrunken? Warum hat er das dann nicht einfach gesagt, mir wäre es auch Recht gewesen.
Ja, ist sie, bestätigte ich. Vermutlich saß sie jetzt mit meinen Eltern auf dem Sofa, eine Tasse Kaukau in der Hand und in eine Decke eingekuschelt, während sie sich vorm Schlafen gehen noch eine Kindersendung an sah.
Ich nippte an meinem Kaffee, der schön heiß war und kräftig schmeckte, während dessen ließ ich Fin nicht aus den Augen und überlegte, über was wir sprechen könnten. Ich wollte ihn ungern etwas zu den Hungerspielen fragen, selbst wenn er es vielleicht erwartete als Mentor und ehemaliger Sieger.

Sieh mal, da, deutete ich Peshewa ehe ich auf das hintere Ende der Lichtung zeigte.
Ganz langsam und vorsichtig tastete sich ein Reh durchs Dickicht, dicht gefolgt von einem Kitz. Die Dämmerung nahte zwar, dennoch waren die beiden früh dran.

Es wäre für mich ein leichtes Gewesen, mit einen Speer, einem Bogen oder notfalls auch einer Axt das Wild zu erlegen um ein Festmahl zu bereiten. Ich hatte diese Gedanken immer, wenn ich Tiere in freier Wildbahn sah. Eine Nebenwirkung der Arena. In meinem Kopf herrschte das Chaos. Ich musste anfangen, diesen Kampf ums Überleben abzulegen...

Das Rehkitz schien nicht Scheu zu sein, denn es hüpfte achtlos an seiner Mutter vorbei und trank von dem Teich, keine zwanzig Meter von uns entfernt. Klar, sie hörten uns nicht, aber witterten sie uns denn nicht? Ein lautes Krachen aus dem Unterholz ließ die Rehe blitzartig verschwinden und ich stand auf meine Beinen, in geduckter Haltung und lauschte. Es dauerte ein paar Sekunden ehe das Knacken erneut zu hören war. Doch ich erkannte, dass es sich um ein Wildschein handeln musste. Hier im Kapitol? Jedenfalls nichts, wovon Gefahr ausging.
Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich ja nicht alleine war. Verlegten setzte ich mich wieder auf den Felsvorsprung. Eine Erklärung hielt ich für überflüssig, Peshewa hielt mich vermutlich für verrückt.

Jemand, der noch nie selbst in der Arena stand konnte einfach nicht nachvollziehen, was man alles erlebte und durchlebte. Deshalb verstanden sich die meisten Mentoren untereinander wohl so gut. Freunde sterben sehen, ums eigene überlegen kämpfen, mit Naturgewalten und Mutationen klarkommen. Ich hatte selbst bereits des Öfteren verbotene Dinge getan - wie das hier - oder hatte Angst oder hatte Bestrafungen zu erwarten, hatte kranke und misshandelte Menschen gesehen, Hinrichtungen beigewohnt: Aber all das war nichts verglichen mit der Arena...

Ich sah in die Richtung, in die Fin deutete und konnte anfangs nichts sehen, bis ein Reh und wohl sein Kitz aus dem Wald sprangen. Überrascht lächelte ich.Ich hatte nicht gewusst, dass es solche Tiere hier im Kapitol gab. Aber warum auch nicht, so groß wie der Park war. Dennoch erschien mir dieser Ort plötzlich wie in einer anderen Welt. Freier, als hätte hier das Kapitol weniger Macht, als würde sich hier noch das natürliche gegen die künstliche Stadt mit Erfolg wehren.
Fasziniert folgte ich dem süßen Tier, als es auf die Wasserquelle zu sprang und daraus trank. Bevor ein Geräusch es aufschreckte und die beiden wieder zwischen den Bäumen verschwanden. Als das Geräusch noch einmal erklang, sah ich in die Richtung und erstarrte, weil Fin mittlerweile in gekauerter Haltung da stand, als fürchte er einen Angriff.
Kommt da jemand?, fragte ich ihn, als er sich wieder hin setzte.

Nein, antwortete ich knapp. Niemand kam. Ich jagte nur den Gespenstern meiner Vergangenheit nach.

Was machte ich hier? Warum war ich hier? Mit wem war ich hier?
Diese Fragen kreisten wieder in meinem Kopf herum. Ich brachte sie und ihre Familie und - mit einem großen vielleicht - auch mich in Gefahr. Warum kümmerte sich eigentlich nicht der Vater der Kleinen um sie, während Peshewa arbeiten musste? Und warum zum Himmel war sie ein Avox? Ein Avox, der aus den Kreisen des Kapitols stammte?
Irgendetwas seltsames lief hier ab, doch ich konnte es nicht deuten. War sie es? War ich es? War es die Tatsache, dass ich mich bei ihr wohl fühlte? Oder was es schlicht und ergreifend die Strafttat, die wir begingen?

Erzähle mir von dir bat ich sie während ich in ihre dunklen Augen sah. Ich könnte ihr stundenlang in die Augen sehen und hätte schwören können, dass sich die Farbnuance im Vergleich zum Mittag verändert hatte.

Ich nickte erleichtert, als er meine Frage verneinte. Wenn das Schritte gewesen waren, wären es bestimmt keine normalen Leute gewesen, die sich nur zufällig auch hier her veriert hätten. Sondern womöglich Friedenswächtern die uns gefolgt waren. Wobei ich noch immer nicht wusste, ob wir hier eigentlich etwas Verbotenes taten. Klar es war ungwöhnlich, aber illegal?
Bei seiner Frage sah ich mich noch einmal um. Aber natürlich waren wir allein und ich vermutete nicht einmal unserer Regierung war so langweilig, dass sie hier Kameras aufhängten um zu überprüfen ob hier irgendwann jemand etwas verbotenes tat.
Was willst du denn wissen?, fragte ich, da seine Frage ziemlich allgemein gehalten war. Lächelnd erwiderte ich seinen Blick. Fin faszinierte mich irgendwie und ich mochte ihn, schon allein dafür wie er heute mit Kimi am Nachmittag gespielt hatte.

Meine Antwort war knapp. Alles.

Da ihr das augenscheinlich nicht genügte, konkretisierte ich meine Frage.
Ich meine, wer bist du? Was machst du? Warum bist du ... ich zögerte ... so? Ja, es interessierte mich, wieso sie eine Avox wurde. Das viele Menschen aus den Distrikten trotz Vergehen, die man nicht wirklich als Vergehen bezeichnen konnte, zu Avoxen wurden war allgemein bekannt, doch aus den eigenen Reihen? Mein Kopf drehte sich ständig um diese Frage. Egal was sie sagen würde, ich war hier. Ich hoffte inständig, dass sie mich nicht für oberflächlich hielt und dem verstörten Mann, von dem sie bisher wenig schlechte Seiten gesehen hatte, vertraute. Wobei sie vermutlich genauso wenig Grund dazu hatte wie ich. Dennoch - und das gestand ich mir in dem Moment ein - tat ich es.

Ich hoffte sehr, dass ihr das nicht zu persönlich war. Immerhin waren wir Fremde. Doch sie wollte sich mit mir treffen. Sie hatte die Initiative ergriffen: sogar zwei Mal. Am Nachmittag, als sie fragte, ob wir uns nicht treffen könnten, und dann mit ihrer Nachricht. Und sie war zum vereinbarten Treffpunkt gekommen. Also hatte sie quasi dreimal gezeigt, dass sie ihn gerne wiedersehen würde. Warum? Wer war sie? Und war sie es wert, ein so hohes Risiko einzugehen?

Stumm?, ergänzte ich seine Frage, die er mit 'so' beendete. Ich hätte auch die Gebärde für Avox deuten können, aber erstens war es möglich, dass er diese nicht kannte und zudem, war das Symbol für 'stumm' mir lieber.
Ich sah ihn prüfend an und überlegte, ob ich es ihm berichten sollte. Schließlich war er selbst ein Sieger und könnte den Grund als einen Angriff oder eine Beleidigung oder so etwas auffassen.
Ich entschied mich, es ihm schon zu verraten. Was er dann von den Informationen hielt, war seine Sache. Hier könnte er auch einfach immer noch aufstehen und einfach gehen.
Wir haben versucht etwas zu ändern und die Menschen hier wach zu rütteln. Das hat denen da oben nicht gepasst, deutete ich langsam und mit einigem Zögern.

Ich studierte ihn nachdenklich um hoffentlich aus seinen Reaktionen schlau zu werden.

Ich sah Peshewa unverwandt an. Sie schon sich Infos nicht gerne entlocken zu lassen. Ich hatte auf einen Lebenslauf gehofft, ihr Elternhaus und ihre Kindheit, ihre Tochter und deren Vater sowie eine Erklärung dazu, weshalb sie jtzt eine Avox war erwartet. Aber das war - und dessen war ich mir bewusst - wohl zu viel verlangt. Sie kannte mich nicht. Und ich sie nicht.

Sie hätte versucht etwas zu ändern. Leute wachrütteln. Das konnte alles und nichts heißen.
Ich beschloss, nicht weiter nachzuhaken und es gut sein zu lassen. Ich hoffte einfach, sie würde evtl. von sich aus etwas erzählen. Wobei ich mir alles andere als sicher war, dass sie überhaupt etwas preisgeben wollte. Doch wieso wollte sie mich treffen? Wieder fragte ich mich: Was machst du hier?

Ich sah sie noch eine Zeit lang an, ehe ich wieder über den Teich in die Ferne blickte.
Sie wollte Leute wachrütteln. Wenn es "denen da oben" nicht passte, ging es vermutlich um etwas, dass das Kapitol sagte oder tat. Und da gab es wirklich viele Dinge, über die man sich beschweren konnte. Sollte. Aber niemals durfte!

Ich sah den enttäuschten Ausdruck in den Augen von Fin, als ich nur kurz und ausweichend antwortete.
Längere Zeit sahen wir uns nur an und ich erwartete eigentlich einen Themawechsel.
Schließlich nahm ich noch einen Schluck Kaffee oder besser gesagt, ich leerte meinen Kaffee in einen Schluck. 'Verdammt, Pesh, du hattest dir doch überlegt es zu sagen. Was ist schon dabei?', dachte ich. Ich seufzte stumm, bevor ich mit einer längeren Erklärung ansetzte. Selbst auf die Gefahr hin, ihn damit vor den Kopf zu stoßen.
Wir haben gegen die Hungerspiele demonstriert. Ich finde es einfach brutal, dass Kinder für angebliche Verbrechen bestraft werden, die lang vor ihrer Zeit passiert sind. Ich stoppte kurz und sah auf meine Hände, als hätten sie schon zu viel verraten. Das laut zu sagen - oder eher zu gestikulieren, war verboten. Diese Meinung auch nur zu denken, war schon verboten.
Sie haben uns fest genommen, gefoltert, hingerichtet oder versklavt, fügte ich noch hinzu und legte den Kopf kurz in den Nacken um die Tränen zurück halten zu können, die mir bei der Erinnerung wieder hervor brechen zu drohten.

Ich sah, das Peshewa erzählte und wandte ihr meinen Blick wieder zu, um nichts zu verpassen.
Ihre Worte - oder besser gesagt ihre Gesten - bohrten sich direkt in mein Herz. Ich war nicht allein. Doch sie stand öffentlich dazu. Deshalb hatte das Kapitol sie bestraft. Deshalb war sie eine Avox. Weil sie nicht wollte, dass jährlich 23 Kinder zum Vergnügen der Bevölkerung des Kapitols sterben mussten. Wo lebten wir eigentlich?

Mir wurde noch während sie gestikulierte schlecht und ich musste gegen das mir wohl bekannte Zittern ankämpfen, doch als ich sah, dass Peshewa mit den Tränen kämpfte gelang es mir, mich im Griff zu behalten. Ohne nachzudenken nahm ich ihren Kopf zwischen meine Hände und sah sie durchdringend an, ehe ich meine Stirn an ihre legte. Ich verharrte einige Momente, die zu Minuten wurden, ehe ich sie wieder los ließ. Ich hatte das dringende Bedürfnis, sie zu beschützen.
Ich hatte zu diesem Thema nichts zu sagen, doch meine Geste musste deutlich genug gewesen sein. Wir waren der gleichen Meinung. Es ist grausam - und überflüssig. Doch ich äußerte mich nie zu solchen Themen, auch nicht, wenn mich niemand hörte.
Doch wann war all das geschehen? Wie viel davon hatte Kimi mit erleben müssen? War es vor ihrer Geburt passiert? Danach?
Und warum interessierte sich ein geschütztes Kind aus dem Kapitol überhaupt für die Tribute?
Fragen über Fragen ... In meinem Kopf begann ein fieses Ziehen und mir fiel es schwer, weiterhin scharf zu sehen.

Ich schloss kurz die Augen während ich tief durchatmete.
Kaffee? fragte ich sie und hielt die Kanne hoch.

Erschrocken fuhr ich zusammen, als ich seine Hände an meinem Gesicht spürte. Unwillkürlich hielt ich die Luft an, während ich abwartete, was er nun tat. Ich rechnete eigentlich mit allem. Damit, dass er seine Hände einfach herum reißen würde und mir damit das Genick brach, weil ich gerade zugegeben hatte, gegen das zu sein, was wohl in gewisser Weise sein Leben bestimmte, und ihn damit auch in Gefahr gebracht hatte. Damit dass er mich anschreien würde, was für ein Recht ich mir eigentlich heraus nahm, gegen die Spiele zu demonstrieren.
Doch damit, dass er seine Stirn gegen meine legen würde und mir tief in die Augen sah, hatte ich nicht gerechnet. Er sagte nichts dazu, aber ich glaubte in seinem Blick so etwas wie stumme Zustimmung zu erkennen.
Als er mein Gesicht wieder los ließ, atmete ich erleichtert auf und nickte dann bei seiner Frage. Etwas zu trinken könnte ich jetzt gut gebrauchen. Oder Wein?, fragte ich, da mir beides recht war.
Bevor ich mich zurück lehnte und ihn musterte. Konnte es wirklich sein, dass er mir in dem Punk zustimmte? Oder hatte ich den Ausdruck in seinen Augen falsch gedeutet und es war in Wirklichkeit nur eine Warnung?
Erzählst du mir etwas von dir?, bat ich nun meinerseits.

Ist mir gleich, ich trinke beides, entgegnete ich. Ich hatte das Bedürfnis sie zu schützen. Sie und Kimi. Doch wieso tat ihr Mann das nicht? Wieso kümmerte er sich nicht um Kimi? Doch das ging mich nichts an. Diese Neugier war nicht gut für mich.

Ich sollte von mir erzählen. Was willst du denn wissen?, zitierte ich sie ehe ich entwaffnend lächelte, ehe sich die Bitterkeit wieder in meinem Gesicht breit machte. Ich ließ sie ihr Getränk wählen und schenkte ihr ein, ehe ich erzählte. Ich hätte gerne in die Ferne geblickt und vor mich hin gesprochen. Sie hätte mich ja auch verstanden. Dennoch bediente ich mich, ihr zugewandt, der Gebärdensprache.
Ich wuchs in einem Heim in unserem Distrikt auf. Ich habe viel über Viehzucht gelernt, ebenso über Heilmittel. Wir hatten nie viel Essen doch es reichte gerade so, um nicht zu verhungern. Wir habne wirklich viel gelernt damals. Wäre ich auf einer Farm aufgewachsen und hätte nicht so viele Einblicke erhalten, wäre ich heute vielleicht nicht mehr hier, dachte ich. Bei meiner ersten Ernte wurde mein Name gezogen. Ich überlebte. Ich mochte den Ausdruck "Sieg" nicht, denn ein Sieg geht mit Ruhm einher, und in der Arena geschah nichts, wofür man sich Ruhm hätte einheimsen können. Zumindest nicht in meinen Augen. Ich schwieg eine Weile und starrte an Peshewa vorbei ins nichts. Heute bin ich Farmeigentümer.
Die Waisenkinder, all die Dinge, die ich mit meinem Preisgeld anstellte, die Aufgabe als Mentor, die Zeit in der Arena, all das und noch mehr ließ ich außen vor. Nicht bewusst, doch die wichtigsten Details hatte ich erzählt.

So viel hatte ich noch niemandem von mir preisgegeben. Erneut stellte ich fest: Ich vertraute ihr.

Dann bitte - Ich überlegte kurz, ob es nicht doch ratsamer wäre, beim Kaffee zu bleiben. Aber für noch eine Tasse Kaffee war es noch zu heiß. Ein Glas Wein, endete ich.
Bevor ich auf seine nächste Frage antworten konnte, machte verfinsterte sich sein Gesicht und er begann zu erzählen.
Erstaunt lauschte ich oder las ich eher mit. Betroffen sah ich ihn an, während er von seiner Zeit im Heim berichtete. Sofort stieg in mir wieder der Wunsch auf, mich für solche Kinder ein zu setzen. Es war einfach nicht fair.
Als er meinte, er hätte die Hungerspiele überlebt, war ich mir ziemlich sicher, dass ich mich vorhin nicht getäuscht hatte, als er seine Stirn gegen meine gelegt hatte. Er schien ebensowenig begeistert von den Spielen zu sein und es nicht als Sieg an zu sehen. Wobei ich nicht wissen konnte, ob und wie man so etwas als Sieg ansehen kann.
Das klingt schön, meinte ich auf seine letzte Bemerkung, dass er jetzt Farmbesitzer war. Ich konnte ihn mir gut als Farmer vorstellen und musste bei dem Gedanken irgendwie lächeln.
Leitet deine Frau jetzt die Farm, während du hier sein musst?, fragte ich ihn um ihn auch gleich einmal heimlich aus zu horchen, ob er eine Familie daheim hatte. Selbst wenn ich bei dem Gedanken meinen Blick leicht verlegen abwandte.