der Park

Peshewa sah aufmerksam zu, während ich gestikulierte. Ich wusste, was sie von den Spielen und deren Beteiligte dachte. Doch mich schien sie deshalb nicht abzustoßen. Weshalb wusste ich allerdings auch nicht. Ich war Tribute, ich war Mentor und unterstützte Tribute.
Ich schenkte auch mir etwas Wein ein, ehe ich auf ihre Frage einging.

Nein, ich habe meine Arbeiterinnen und Arbeiter entsprechend instruiert. antwortete ich. Ihre Körpersprache deutete daraufhin, dass die Frage vielleicht eher heißen sollte "Hast du eine Frau und was macht sie?". Doch ich ließ dieses Thema in der Luft hängen. Nachdem Peshewa mit ihren Antworten nur so zaghaft um die Ecke kam fand ich, ich hätte genug erzählt. Und gleichzeitig hätte ich stundenlang weiter erzählen können. Ich fühlte mich wohl bei Peshewa.

Ich nickte sachlich, als er meinte, seine Arbeiter würden diese Aufgabe auch allein übernehmen. Auch wenn ich etwas enttäuscht war, dass ich dadurch keine wirkliche Information über eine eventuelle Familie von ihm bekommen hatte.
Ich nahm einen Schluck von dem Wein und bereute es schon fast, nicht wieder Kaffee genommen zu haben. Er schmeckte gut, aber ich fühlte schon nach dem kleinen Schluck ein leichtes Prikeln im Hinterkopf. Sicherheitshalber stellte ich das Glas gleich wieder zur Seite.
Ich wollte mich noch einmal für heute Nachmittag bedanken, Kimi hat es sehr viel Spaß gemacht, deutete ich, nach dem wieder eine Weile keiner von uns etwas 'gesagt' hatte.

Sie bedankte sich für den Nachmittag. Nicht dafür, bat ich.
Mir hatte der Nachmittag mehr Ablenkung geschaffen als ich hätte hoffen können. Und Spaß gemacht hatte es außerdem. Kimi ist schon sehr weit für ihre vier Jahre. Und strotzt nur so vor Lebensfreude. Es war ein schöner Nachmittag.

Ich hatte noch so viele Fragen im Kopf: Für wen oder was arbeitete Peshewa? Was war mit Kimis Vater? Seit wann ist sie eine Avox? Wie war ihre Kindheit? Wo war sie aufgewachsen? Immerhin war Kapitol nicht gleich Kapitol, auch wenn die Grundvoraussetzungen wie ausreichend Ernährung und im Vergleich zu den Distrikten unglaubliche Privilegien, einen höheren Bildungsgrad u.s.w. identisch waren.

Ich trank meinen Wein in einem Zug leer. Ich vertrug - obwohl ich Alkohol mied - ziemlich viel. Aber wehe, ich hatte einen gewissen Punkt überschritten. Oder nicht ausreichend gegessen. Oder es war zu warm. Ich schluckte. Es war heute sehr warm. Und ich hatte seit dem Mittag nichts gegessen.

Unwillkürlich legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Und sei es drum.
Ich lehnte mich nach hinten und stütze mich auf meinen Händen. Bewusst sog ich die Abendluft in meine Lungen und schloss die Augen. Ich genoss den Augenblick.

So viel Ruhe und Gemütlichkeit würde ich so schnell nicht wieder finden.

Fand ich auch, meinte ich, als er deutete, es sei ein schöner Nachmittag gewesen. Ja, zum Glück. Ich war wirklich froh, dass Kimi trotz der Umstände ein so fröhliches und lustiges Kind war. Es könnte auch anders sein. Aber bei ihren Großeltern ging es ihr ja sehr gut.

Ich nahm noch einen kleinen Schluck Wein, bevor ich mit dem Finger gedankenverloren über den Rand des Glases strich und Fin beobachtete, wie er sich mit einem Lächeln zurück lehnte.
Ich lächelte ebenfalls. Es war toll mal so weg zu kommen und sich mit ihm zu unterhalten. Obwohl wir uns nur mit den Händen unterhielten, kam ich mir das erste mal seit langen frei und nicht mehr wie eine versklavte Verbrecherin vor.

Willst du sonst noch etwas wissen?, erkundigte ich mich, als er wieder zu mir sah.

Alles, was du mir erzählen magst, entgegnete ich ihr. Und es stimmte. Ich würde am liebsten alles über sie wissen. Doch ich gab ihr ein paar Anhaltspunkte.
Mich interessiert zum Beispiel, für wen du arbeitest. Und seit wann. Warum wächst Kimi bei deinen Eltern auf und nicht bei ihrem Vater? Wie bist du aufgewachsen und ... in der Richtung eben.

Ich musste mich bremsen. Mich interessierte die junge Frau die mir gegenübersaß wirklich. Doch ich wollte ihr nicht auf die Füße treten und sie überrumpeln. Aber von alleine erzählte sie ja nicht. Wobei ich es schon als Fortschritt deutete, dass sie überhaupt frage, ob ich noch etwas wissen wolle.

Da mein Glas bereits leer war kramte ich die Flasche hervor und hielt sie fragend in Peshewas Richtung, ehe ich mir selbst eingoss.
Wer war diese Frau? Und - die dringlichere Fragen: Wieso wollte ich das so genau wissen?


ot: Gute Nacht

(gute nacht , schlaf gut )

Bei seiner Frage nach meinem Arbeitsplatz schluckte ich kurz. Aber ich hatte ihm schon angeboten, dass er mich fragen durfte, also wollte ich auch antworten. Ich arbeite für Mr Swell. Einem Senator und Spielemacher, meinte ich und ärgerte mich erneut über diese tiefe Rache, dass ich dem Mann dienen musste, der mit Freude sich neue Fallen ausdachte um die Kinder, für die ich demonstriert hatte, zu töten. Schon seit ich zur Avox wurde vor fast drei Jahren.
Kimis Vater ist tot. Gestorben für unsere Sache und manchmal wünschte ich mir, sie hätten mich auch zum Tode verurteilt anstatt dem.
Nach den beiden Antworten erschien mir seine letzte Frage um vieles einfacher. Ich bin eigentlich ziemlich normal aufgewachsen bei meinen Eltern. Eben normale Mittelschicht hier im Kapitol. Nach der Schule wollte ich studieren gehen um Schauspielerin oder Sängerin zu werden. Ich hatte nur mit dem ersten Semester begonnen, bevor wir verhaftet worden waren.

Als Fin die Weinflasche fragend hoch hob, schüttelte ich lächelnd den Kopf. Mein Glas war ja noch fast zur Hälfte voll.

Peshewa fing an zu erzählen, wenn auch wenig. Immerhin erfuhr ich, dass sie eine angenehme Kindheit zu haben schien und dass sie für den alten Swell arbeitete. Da hätte sie es zwar durchaus schlechter, aber auch deutlich besser erwischen können. Zumindest wenn man danach ging, was ich bisher über ihn gehört und wie ich ihn erlebt hatte. Als Avox durfte man vermutlich nicht sehr wählerisch sein.
Ebenfalls erfuhr ich, dass Peshewa seit drei Jahren als Avox lebte. Und Kimi war vier. Ich bekam schweißnasse Hände. Zu Hause hatte ich nicht solche Probleme, mich im Gleichgewicht zu halten. Man konnte nur hoffen, dass Kimi davon wirklich nichts mitbekommen hatte und Peshewa sich nicht gehen ließ – was sie offensichtlich nicht tat. Und Kimi schien wirklich behütet aufzuwachsen, sonst wäre sie nicht wie das Kind, das ich heute kennengelernt hatte.
Und ich erfuhr, dass Kimis Vater tot war. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Traurigkeit erfasste meinen Körper. Tut mir leid. Mehr brachte ich nicht zu Stande. Vielleicht hätte ich nicht danach fragen sollen. Und ganz augenscheinlich wollte sie auch nicht darüber reden. Verständlich.

Ich hakte nicht weiter nach. Wenn sie etwas erzählen wollte würde ich gerne zuhören, doch ich würde nicht mehr fragen. Ich bot ihr auch nicht an, mir weitere Fragen zu stellen. Ich fand wir hatte eine Ebene des Vertrauens erreicht, auch wenn sie noch sehr schüchtern war, in der man einfach die Fragen stellen konnte, die einem auf der Seele brannten. Man sagen konnte, was einem auf dem Herzen lag. Es gab nicht viele Menschen, denen ich vertraute. Obwohl Peshewa wenn man es genau nahm eine Fremde war gehörte sie zu den handverlesenen Menschen, denen ich vertraute. Ich hoffte sehr, dass sie mein Vertrauen zu Recht genoss.

Ich dachte an meine eigene Kindheit. Elternlos. Im Heim aufgewachsen. Und ich dachte an Kimi. Der Vater tot, die Mutter ein Avox. Wächst bei den Großeltern auf. Sie war ein so fröhliches und aufgeschlossenes Kind, ganz anders als er. Jedoch war sie sehr reif und schlauf, da ähnelte sie ihm schon eher. Und sie würde nie bei einer Ernte teilnehmen müssen. Darum beneidete er sie. Und Peshewa. Sie musste keine Angst haben, dass ihr Kind einst in die Arena geschickt wurde. Bei mir sah das schon anders aus!

Das Schweigen, das während meinen Gedankengängen herrschte, war kein peinliches oder betretenes Schweigen. Es war angenehm, und auch Peshewa schien in Gedanken zu schwelgen. Wir konnten anscheinend reden bzw. uns unterhalten, gemeinsam lachen, das hatten wir am Nachmittag unter Beweis gestellt, und gemeinsam Schweigen...

Als ich berichtete, dass Kimis Vater tot war, drückte Fin mir sein Mitgefühl aus.
'Danke', formte ich stumm mit den Lippen und senkte den Kopf leicht. Das Thema wollte ich lieber einfach wieder vergessen. Es schmerzte noch immer an ihn zu denken. Wir hatten keine Möglichkeit uns zu verabschieden, kein Lebwohl oder ein letzter Kuss, nur die kurze formlose Nachricht eines Nachmittags, dass Hakan tot sei.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich griff nach meinem Weinglas um noch einen Schluck zu nehmen. Die Flüssigkeit half nicht fiel dagegen, aber es lenkte meine Gedanken wieder in das hier und jetzt.

Mein Blick wanderte zu Fin, der gedankenverloren vor sich hin sah. Ich fragte mich, was mit seinen Eltern passiert war, dass er im Heim aufwuchs und ich dachte darüber nach, was für Schrecken ihm alle auferlegt wurden. Hunger. Tod. Die Hungerspiele. Als Tribut und nun als Mentor.
Warum durfte es solche Schicksale immer wieder geben? Wie konnten die Menschen hier wirklich so blind sein und das alles einfach zu lassen?
Ich schüttelte den Kopf und nippte noch einmal an dem Wein. Auf diese Fragen hatten wir vor drei Jahren eine Antwort erhalten. Weil das Kapitol sie blind lassen wollte und ihnen eine heile Welt vorgaukeln wollte, in der Störenfriede vernichtet wurden.
Ich ertappte mich bei der Frage, ob Fin auch versuchen würde, etwas dagegen zu tun.
Schüttete aber sofort wieder den Kopf. Ich durfte nicht mehr so denken. Diese Zeiten waren vorbei. Es ging schließlich um Kimi und meine Eltern.

Schweigend leerte ich mein Glas und sah dann wieder zu Fin.

Ich merkte, wie ich am ganzen Körper zu schwitzen begann. Völlig ohne Auslöser. Und die Tatsache, dass ich ins Schwitzen geriet, ließ mich noch mehr schwitzen...
War das die drückende schwüle Wärme? Wie konnte Peshewa bloß in Lederjacke hier sitzen? Oder war es die Tatsache, dass mir immer bewusster wurde, dass ich mich ihr geöffnet hatte?
Der Teich, das verlockende kühle Nass, wurde für mich immer reizvoller. Aber ich konnte jetzt ja nicht einfach schwimmen - falls das in dem Teich überhaupt möglich war - gehen... Oder doch? Oder vielleicht darin herum waten? Mir war so unglaublich heiß ...

Was hielt Peshewa eigentlich von mir? Wieso war sie hier? Wie sollte das weiter gehen? Peshewa war freundlich, höflich, aufmerksam ... aber warum? Was dachte sie von mir? Was wollte sie von mir? Brauchte sie Jemanden, der sie freikaufte? Zweifel keimten in mir auf. Das wäre nur logisch. Wieso sollte sie - als offizielle Kapitol- und Hungerspielgegnerin - mit einem ehemaligen Sieger und aktuellem Mentor zu tun haben wollen. Ja klar! Die Wolke, auf der ich augenscheinlich schwebte und die Vertrautheit genoss, löste sich auf und ich fiel ... tief ... auf den Boden der Tatsachen. Ich sah sie an. Mein Gesicht war wieder so verschlossen wie sonst bei jedem anderen Fremden. Natürlich. Ich hatte Geld. Sie benötigte es vermutlich...

Nein! Stop. Die Spiele waren vorbei. Ich musste damit aufhören. Nicht jeder war ein Feind. Nicht jeder ist ein Feind. Ich sah wieder in die Ferne. Sie hatte noch nichts in der Richtung erwähnt. Oder in diese Richtung in gehorcht. Sie wollte lediglich wissen, ob ich eine Frau hätte. Um mich als leichtes Opfer zu identifizieren? Nein. Ich musste mir einreden, dass ich mir nichts einreden durfte. Langsam drehte ich wohl durch.

Peshewas Kelch war fast leer. Magst du noch etwas trinken? fragte ich sie, deutete auf Thermoskanne und Weinflasche und verbarg meine Gedanken. Das konnte ich gut. Mich verschließen.

Ja, gern, meinte ich und beugte mich etwas vor um nach der Weinflasche zu greifen. Als ich so näher bei seinem Gesicht war, erkannte ich den dünnen Schweißfilm auf seiner Stirn.
Ist dir heiß?, wollte ich wissen. Oder war er nervös? Womöglich überlegte er sich aber mittlerweile auch nur fieberhaft, wie er möglichst schnell von hier weg kam. Zumindest wirkte sein Gesichtsausdruck auch ziemlich verschlossen und abweisend.
Leicht nervös setzte ich mich wieder zurück auf meinen Platz. Überlegte was wir hier eigentlich machten oder welchen Grund er dazu hatte mit mir hier zu sein.
Ich verscheuchte die Gedanken und vermutete, dass er schon etwas sagen würde, wenn er meiner Gesellschaft überdrüssig war.
Trotzdem schwenkte ich nachdenklich das Weinglas in meiner Hand, bevor ich wieder einen Schluck nahm.

Peshewa wich von der Weinflasche zurück. Ich griff jedoch danach und schenkte ihr, nachdem sie getrunken hatte, nach.
Erst wollte ihr ihr antworten das mir durchaus ziemlich warm sei, ich entscheid mich jedoch für die Offensive. Ich hoffte inständig, sie sei der Konfrontation gewachsen.

Peshewa, was machen wir hier eigentlich? wollte ich wissen. Ich hatte mich ihr ganz zu gewandt und mich in den Schneidersitz gesetzt. Meine Hände lagen ruhig auf meinen Oberschenkeln. In meinem Inneren kochte es und mein Körper schaffte es nicht, die Temperatur zu regulieren.

Ich meine, versteh' mich bitte nicht falsch. Ich mag dich, wollte ich sagen. Jedoch entschied ich mich um hab nichts dagegen, wenn wir hier sitzen und nichts tun. Aber wieso wolltest du mich treffen? Warum bist du hier?
Vermutlich war ich mal wieder viel zu forsch und zwei Schritte voraus, denn mein Tonfall war eher grob und nicht der, den ich hatte anschlagen wollen. Ich konnte nur hoffen, dass sie verstand, was ich meinte und sich nicht angegriffen fühlte. Sie saß hier. Mit mir. Einem Fremden. Trank wein. Redete von ihrer Vergangenheit, gab Dinge zu die nie geäußert werden durften. Warum? Warum hier? Warum mit mir?

Ich lächelte ihn an, als er mir Wein nach füllte und bedankte mich mit einem Nicken, als er sich mir ganz zuwandte und fragte, was wir hier eigentlich machten. Ich stockte mitten in der Bewegung und einen kurzen Moment entglitt mir meine Gesichtszüge, bevor ich eine neutrale Mine aufsetzte.
Ehe ich jedoch antworten konnte, stellte er die Fragen konkretter.
Ich fühlte ein leichtes Stechen im Magen, als mir klar wurde, dass er nur der Höfflichkeit halber hier aufgetaucht war und nicht, weil er mich vielleicht auch nett fand.
Ich seufzte leise und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Natürlich eigentlich. Ich war eben keine normale Person mehr, mit der man sich einfach so aus Spaß traf. Aber auch recht, damit konnte ich auch leben.
Ich fand dich eben heute Nachmittag echt nett, deutete ich ihm kurz, bevor ich noch hinzu fügte: Du hättest auch ablehnen können.

So war das nicht gemeint.
Ich hätte vielleicht ablehnen sollen, hätte es aber nie getan.

Es ist nur, ich ... ich stockte .
Meine Hände fuchtelten wild in der Luft herum, ohne etwas zu sagen. Ich war noch nie so durch den Wind gewesen wie in diesem Augenblick.
Willst du mal lachen? Ich sah sie herausfordernd an. Ich mag dich. Ich fühle mich wohl bei dir. Ich habe noch nie jemandem persönliche Details erzählt. Ich vertraue dir. Und dabei kenne ich dich nicht mal. Du bist eine Fremde. Und eine verurteilte Verbrecherin.
Im Reden wandte ich mich ab, ehe ich bei meinen letzten Worten zu ihr umwandte. Zum einen, dass sie sehen konnte was ich sagte, zum anderen, weil mir gerade selbst bewusst wurde was ich gesagt hatte.
Nein, das war vielleicht falsch ausgedrückt. Ich meine nur... Zeig mir einfach, dass ich dir vertrauen kann. Ich flehte beinahe.

Ich war stets gefasst. Ich verlor nie die Kontrolle. Wenige Minuten mit dieser Frau und ich verlor mich. Ich wäre wirklich gerne in den Teich gesprungen...

Wie sonst?, wollte ich wissen, als er deutete, er hätte es nicht so gemeint.
Er begann mit einer Erklärung, fuchtelte dann aber wild mit den Armen in der Luft herum. Ich verkniff mir ein Lachen, so wie das Kommentar, dass ich diese Symbole der Gebärdensprachen noch nicht kenne, stattdessen wartete ich auf seine Erklärung.
Bei seinen nächsten Gesten sah ich ihn jedoch verblüfft an. Meinte er das ernst? Aber ging es mir nicht genau so? Schließlich hatte ich ihm auch bereitwillig davon erzählt, warum ich so war, wie ich eben war, und auch was mit Kimis Vater passiert war. Das wusste bis jetzt noch kaum jemand.
Als er sich wieder zu mir umdrehte und mich bat, ihm zu zeigen, dass er mir vertrauen konnte, stand ich auf und kam mit einem leichten Lächeln auf ihn zu. Wie sollte ich es ihm sagen oder zeigen, dass er mir vertrauen konnte?
He, meinte ich und legte ihm vorsichtig meine Hand auf den Oberarm, während ich ihm offen ins Gesicht sah. Du kannst mir trauen. Was hätte ich für einen Grund, dein Vertrauen aus zu nutzen?
Außerdem könnte ich eh nichts von dem hier weiter sagen, fügte ich dann noch scherzhaft hinzu und deutete auf meine Kehle, bevor ich lachte. Was bei mir jedoch nicht viel mehr war, als ein bloßes Ausstoßen von Luft.

Peshewa kam mir gefährlich nahe. Sie roch gut. Warum nur roch sie so gut? Als sie mich am Arm berührte durchfuhr es mich wie ein Stromschlag.
Was war hier los? Ich befand mich in einer mir völlig neuen Situation. Ich vertraute jemandem, ohne diesen jemand zu kenne. Ich genoss die Gesellschaft von einem Mitmenschen, ohne mich dabei bedrängt, unwohl, beobachtet oder bedroht zu fühlen. Ich hatte das Gefühl, ich würde Peshewa schon ewig kennen.

Als Peshewa lachte fühlte sich mein Herz an, als würde man es mit einer Nadel traktieren? Wieso?
Peshewa hatte bestimmt eine wunderschöne Stimme gehabt. Ob man den Schaden, den das Kapitol angerichtet hatte, wieder verschwinden lassen könnte? Wenn man einen Avox freikaufen würde und ihn dann zu den besten Ärzten ...
Was dachte ich da?

Peshewa stand noch immer vor mir. Die Luft drückte und ich wusste nicht wohin mit mir.
Ohne groß nachzudenken zog ich mir mein Shirt über den Kopf. Meine Füße hatten sich keinen Deut gerührt, als ich meine Hose aufknöpfte und auf den Boden fallen ließ. Ich schlupste im Stehen aus meinen Schuhen und Strümpfen, ohne die Hände zur Hilfe zu nehmen und sprang seitwärts in Boxershorts in den Teich. Es ging einfach nicht anders!

Das Wasser berührte meine Haut und ich tauchte unter. Von früher wusste ich, wie seicht das Wasser am Rand war und wie tief es in der Mitte absank. Natürlich traf ich, wie geplan, die Mitte und tauchte tief unter. Ich spürte den Strom, der durch meine Bewegung entstand und genoss es, wie dieser meinen Körper kühlte - und kam schlagartig zur Besinnung.

Bescheuerte Aktion, Finley, hast du toll gemacht, dachte ich.

Verwirrt sah ich Fin zu, wie er sich plötzlich Shirt, Hose und Schuhe auszug. Was hatte er denn jetzt vor? Ich ertappte mich dabei, wie ich seinen Oberkörper musterte. Er schien wirklich zu trainieren und sah verdammt gut aus.
Kopfschüttelnd wollte ich den Gedanken vertreiben.
Was -? Gerade als ich ansetzen wollte, ihn zu fragen, was er vor hatte, sprang er von dem Fels hinab und kurz darauf hörte ich ihn ins Wasser eintauchen. Komisch, aber das gefiel mir irgendwie. Dass er so was machen konnte, hätte ich nie erwartet.
Grinsend trat ich an den Rand des Felsen heran und sah hinunter, wo er im dunkeln Wasser verschwand.
Schnell sprang ich von dem Felsen hinunter - jedoch ins Gras und nicht ins Wasser. Zog mir ebenfalls Schuhe und Socken aus, bevor ich mit hoch gezogener Hose etwas in das flache Wasser wartete. Es fühlte sich angenehm kühl an. Mit den Augen hielt ich ausschau nach Fin, wann er wieder auftauchte.

Ich hielt mir gerade eine Standpauke und versuchte, mir die Worte für mein Verhalten zurecht zu legen, als ich auftauchte - doch der Felsen war leer. Unruhe packte mich und ich hielt nach Peshewa ausschau. War sie etwa davon gelaufen? Bestimmt, denn ...
Doch ich hörte etwas hinter mir und fuhr herum. Peshewa. Bis zu den Knien im Wasser. Ich hatte sie, als ich unter Wasser war, nicht ins Wasser kommen hören. Das ärgerte mich. Ich war unachtsam gewesen. Ich hatte nur auf meinen Herzschlag gelauscht, war zu sehr mit mir beschäftigt gewesen. Solch ein Fehler durfte mir nicht ... Ich ermahnte mich. Die Spiele waren vorbei.

Ich schwomm noch einen Zug ehe ich mit den Füßen erfolgreich nach festem Grund tastete. Vier Schritte watete ich auf Peshewa zu, ehe ich mit ihr auf Augenhöhe, jedoch noch etwas entfernt war. Augenhöhe oder Nähe? Ich entschied mich für Augenhöhe. Das war sicherer. Ich konnte die Reaktionen meines Körpers nicht erklären - und erstmals, von Albträumen und meinen Aussetzern mal abgesehen, hatte ich meine Körper auch nicht im Griff.

Willst du auch schwimmen? fragte ich mit einem aufrichtigen Lächeln, dass nur meine Lippen zierte. Meine Augen blieben davon - wie eigentlich fast immer - unberührt. Das tut wahnsinnig gut! Allerdings ist das Wasser auch ziemlich lau. In der Mitte ist es tiefer, da wird es kälter.

Ich kicherte leise, als Fin auftauchte uns suchend Richtung Felsen starrte.
Gerade als ich einen Stein oder so suchen wollte um ihn ins Wasser zu werfen und Fin damit auf mich aufmerksam zu machen, drehte er sich doch um uns schwamm in meine Richtung.
Und abgekühlt?, fragte ich ihn, als er mich gleichzeitig fragte, ob ich auch schwimmen wollte. Verwundert sah ich ihn und den Teich an. Sollte ich? Er war schließlich doch noch ein Fremder.
Schließlich zuckte ich mit den Schultern. Man lebte schließlich nur einmal und wenn wir schon mal Spaß hatten, warum nicht?
Ich zog meine Jacke aus und warf sie ans Ufer. Bei meinem Top zögerte ich jedoch etwas. Nicht dass ich mich wegen meines Körpers schämte, im Gegenteil, trotzdem zögerte ich kurz bevor ich es mir auch über den Kopf zog und der Jacke hinterher warf.
Ich mied Fins Blick und hoffte, dass er auf die Entfernung die Narben nicht erkennen konnte.
Schnell schlüpfte ich auch noch aus der Hose, bevor ich mit einem flachen Kopfsprung unter tauchte. Mit zwei kräftigen Schwimmzügen brachte ich mich ins tiefere Gebiet und tauchte wieder mit dem Kopf über die Wasseroberfläche.
Das kühle Wasser tat gut nach der Hitze des Tages und es half gegen den Wein, der mir doch langsam zu Kopf gestiegen war.

Ich war ganz überrascht, als Peshewa sich auszog und ins Wasser sprang. Damit hatte ich nicht gerechnet. Während sie sich ihrer Kleidung entledigte suchte ich unverwandt ihren Blick, doch sie sah mich nicht an.
Als Heiler hatte ich schon viele nackte Körper gesehen. Nacktheit machte mir nichts aus. Ein Körper war ein Körper. Arme, Beine, Hände, Füße, Brust, Rücken, Bauch, Kopf... Ich sah das nüchtern. Normalerweise. Doch auch hier löste Peshewa etwas in mir aus ...

Ich erhaschte einen Seitenblick auf ihren dünnen, zierlichen Körper, ehe sie im Wasser verschwand. Während ich Peshewa nachsah, die die Abkühlung ganz offensichtlich genoss, fragte ich mich erneut, was wir hier machten. Und wieso ich das machte. Das war nicht ich. So war ich nicht. Ich erkannte mich nicht wieder - und lächelte.

Ich war überrascht, dass Peshewa überhaupt schwimmen konnte. Viele Einwohner des Kapitols konnten das nicht - es bestand ja auch keine Notwendigkeit, es zu erlernen. Doch mir war egal, woher sie es konnte. Mir machte es Spaß, ihr zuzusehen. Es erinnerte mich an den Nachmittag, als Kimi durch die Pfützen hüpfte. Peshewa wirkte auf mich glücklich.

Ich genoss es hier zu schwimmen. Meine Eltern hatten einen Teich im Garten, in dem mir mein Vater als ich noch ein Kind war schwimmen gelernt hatte. Und irgendwie erinnerte es mich wieder an diese Zeit.
Ich sah zu Fin hinüber und wollte ihn eigentlich fragen, ob er auch noch schwimmen wollte, da er noch immer am selben Platz stand wie zuvor. Bei dem Versuch jedoch ihm das mit den Armen zu deuten, soff ich ein Stück weit ab. Bevor ich mich mit ein paar Schwimmzügen wieder an die Oberfläche brachte, wo ich kichernd Luft holte.
Doch keine gute Idee, deutete ich schnell, während ich mit den Füßen strampelte um nicht noch einmal unter zu tauchen.

Als ich sah, dass Peshewa kurz absank weil sie etwas erzählen wollte, schwamm ich schnell zu ihr. Noch ehe sie den zweiten Teil ihres Satzes deutete, hatte ich sie mit einem sanften Griff um die Taille sicher umschlossen und verhinderte, dass sie erneut verschwand.

Obwohl ich wusste, dass sie schwimmen konnte, zog ich sie bis hin zu der Stelle von der ich wusste, dass auch sie sicher stehen konnte. Das Wasser reichte ihr bis knapp unter die Brust.

Schimmen und unterhalten, keine gute Idee scherzte ich. Ich lief ein Stück rückwärts und fühlte mit meinen nackten Füßen die Kante, die den Abgrund zur Mitte hin markierte. Ich spritzte Peshewa mit etwas Wasser nass. Als ich sah, dass sie zum Gegenschlag ausholte sog ich Luft in meine Lungen und tat noch einen Schritt nach hinten - und verschwand ...

Ich war trainiert und konnte lange Zeit meine Luft anhalten. Das Wasser war nicht klar, sodass Peshewa mich nicht sehen konnte. Ich schwamm ein ganzes Stück und tauchte Geräuschlos im Dickicht wieder auf. Sie konnte mich nicht sehen, doch ich hatte einen guten Blick auf die junge Frau ...

Überrascht zuckte ich zusammen, als sich ein Arm um meine Taillie legte. Ein angenehmes Prickeln durchlief meinen Körper, als Fin mich Richtung Ufer zog. Obwohl ich eigentlich schwimmen konnte. Dachte er etwa, ich wäre wirklich fast abgesoffen?
Da hast du recht, meinte ich, als er mich im etwas seichterem Gebiet los ließ. Mit den Zehen grub ich leicht in dem Kies am Boden, während er etwas zurück wich. Irgendwie wurde ich aus ihm nicht schlau, dachte ich mir, als er mich plötzlich nass spritzte.
'He!' Natürlich war nichts von dem überrascht, empörten Ausruf zu hören. Mit einem breiten Lächeln wollte ich ihm ebenfalls eine kleine Flutwelle schicken, doch in dem Moment ließ er sich zurück ins Wasser fallen und verschwand damit aus meinem Blickfeld.
Verwundert und lauernd beobachtete ich die Stelle wo er verschwunden war, wann er wieder auftauchte.
Das kriegst du zurück, meinte ich, obwohl er es natürlich nicht sehen konnte.
Als die Zeit jedoch verging und er nicht wieder auftauchte, wurde ich doch etwas nervös. So lange konnte doch nicht einmal er die Luft anhalten, oder? Also wo war er? Suchend blickte ich mich um, aber auch sonst nirgends konnte ich ihn entdecken.
Ich wartete noch etwas, bevor ich an bis an die Stelle vor schwamm an der er verschwunden war um ebenfalls ab zu tauchen und dann zu versuchen, ihn zu finden. Auch wenn ich nicht glaubte, dass er sich in Algen oder so verfangen haben könnte.

Ich machte mir nicht die Mühe, Peshewa aufzuklären wo ich war. Ich sah ihr eine Weile zu, ehe ich lautlos wieder abtauchte und in ihre Richtung schwamm. Sie war etwa in der Mitte des Teiches. Ich näherte mich aus tiefem Gewässer und fand sie - ihre langen, dünnen Beine. Ich schwomm heran und berührte ihr Bein. Einmal. Zweimal. Dann legte ich locker meine Hand um ihre Fessel und ging mit ihren Bewegungen mit.

Schließlich hielt ich ihr Bein im Wasser fest. Ich zog sie nicht nach unten, doch ihr rechtes Bein konnte sie nun nicht mehr bewegen. Sie fand das vermutlich nicht sehr lustig, doch ich musste schmunzeln. Ich verharrte einige Augenblicke, ehe ich davonschoss und in Ufernähe wieder auftauchte.

Peshewa war mir mit dem Rücken zugewandt, weshalb sie mich nicht auftauchen sah. Ich mimte Ahnungslosigkeit und war schon ganz gespannt auf Peshewas Erklärung.

Als sie schließlich in meine Richtung blickte fragte ich Alles okay?

Ich schwamm etwa bis zur Mitte des Teiches, als mich plötzlich etwas am Fuß berührte. Anfangs dachte ich mir nichts dabei, bis sich etwas um meinen Knöchel legte. Kurz dachte ich an Schlingpflanzen und wollte mich mit einfachen Fußbewegungen davon befreien, doch es ließ sich nicht abschütteln.
Als etwas jedoch plötzlich den Fuß ganz fest hielt, wusste ich, dass es keine Pflanze war.
Ich stellte alle Schwimmbewegungen ein um abzutauchen und mich zu vergewissern, als mein Bein auch schon wieder freigegeben wurde. Außer trüben Wasser konnte ich sowieso nichts erkennen, also tauchte ich wieder auf und sah mich an der Oberfläche um.
Ich entdeckte Fin am Ufer.
Ich schwamm in seine Richtung und tastete nach Grund, bevor ich ihm antwortete: Irgendwas hat meinen Fuß gepackt. Langsam machte ich zwei Schritte in seine Richtung, bevor ich plötzlich meine Hände so ins Wasser klatschen ließ, dass es ihn anspritzte.
Glaubst du, ich weiß nicht, dass du das warst?, fragte ich ihn grinsend und tauchte schnell unter, bevor er zu einer Gegenattacke ausholen konnte.

Peshewa dachte, ich sei es gewesen. Doch da spielte ich nicht mit. Ich wartete, bis sie wieder auftauchte, das Wasser, das sie mir entgegengespritzt hatte, bahnte sich seinen Weg nach unten - ich hielt es nicht für nötig, es abzuwischen. Wozu auch?

Ich soll deinen Fuß gepackt haben? Wie das denn? Ich bin doch hier. Wie hätte ich so schnell hierher kommen sollen? fragte ich mit überzeugender Unschuldsmiene.
Ich hoffte inständig, dass es klappte. Auflösen könnte ich es später immernoch.
Doch vielleicht wurde ihr ja mulmig. Vielleicht zog sie es in Erwägung, dass ich es wirklich nicht war. Dann bräuchte sie jemanden, der sie beschützte.

Natürlich würde ich das ganze Aufklären. Aber solange ich meine Körperbeherrschung wiederhatte konnte man mir nicht anmerken, ob ich automatisch funktionierte oder echt war. Im Moment funktionierte ich. Überlebensmodus. Selbstschutz.
Ich war mir fast sicher, dass Peshewa mir, wenn ich meinen Streich später auflösen würde, mir nicht böse wäre. Doch das war nur eine Ahnung, wissen konnte ich es nicht.

Was ist denn mit deinem Fuß? fragte ich erneut. Zeig mal.